Dr. Anna Kicherer, hier bei der Moderation des interaktiven Formats Schlagabtausch, bei dem Forscher Einblicke in digitale Themen im Weinbau geben. ©JKI, Julia Fuchs
Die Digitalisierung erobert den Weinberg. Das Projekt DigiVine untersucht im Auftrag der Bundesregierung, wie digitale Lösungen den Weinbau optimieren und nachhaltiger gestalten können. Dr. Anna Kicherer leitet am Julius-Kühn-Institut (JKI) im rheinlandpfälzischen Siebeldingen die Arbeitsgruppe Digitalisierung und Präzisions-Weinbau am Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof und ist Sprecherin des Projekts DigiVine. Für sie sind traditionsreicher Weinbau und Digitalisierung keine Gegensätze.
Frau Dr. Kicherer, was genau ist DigiVine?
DigiVine ist eines von 14 Experimentierfeldern, die vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung gefördert werden, um digitale Techniken in der Landwirtschaft zu erforschen und deren Praxistauglichkeit zu testen. Es geht darum, digitale Schnittstellen und Lösungen entlang der Wertschöpfungskette für kleine und große Weinbaubetriebe zu entwickeln. Die Anwendungen werden dann in Beispielbetrieben der verschiedenen Erzeugerstrukturen wie Weingüter, Winzergenossenschaften und Traubenproduzenten getestet. Der Schwerpunkt des Projekts liegt in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
Um was für Lösungen geht es und wie profitieren die Winzer davon?
Aus dem Projekt werden Lösungen und Handlungsempfehlungen abgeleitet, mit denen Winzer in ihren Betrieben ressourceneffizienter, umweltfreundlicher und mit weniger Arbeitsaufwand wirtschaften können. Mithilfe von Sensoren und digitaler Datenverarbeitung können Arbeitsmaschinen im Weinbau in Zukunft die genaue Position von Pflanzen erkennen und untereinander austauschen. Zum Beispiel gibt es bereits Ultraschall- und Tastsensoren bei Vollerntern, die selbstständig durch die Rebzeile fahren.
Digitalisierung ermöglicht aber auch, Erträge, Wegstrecken, Schädlingsbefall und die Flächen im und rund um den Weinberg präzise zu kartieren – ähnlich wie bei der Gesundheitsapp, die die meisten auf dem Smartphone nutzen, werden manche Dinge bereits automatisch erfasst und manche müssen noch händisch eingetragen werden. Digitale Technologien können dem Winzer helfen, seinen Pflanzenschutz zu dokumentieren und zu optimieren. Pflanzenschutzmittel können dadurch ganz gezielt aufgebracht werden, was für den Winzer Kosten und Arbeitszeit spart und gleichzeitig der Umwelt zugutekommt. Die Digitalisierung hat im Weinbau ein großes Potenzial und es gibt viele Ideen.
Können Sie uns noch ein Beispiel nennen?
Während der Weinlese muss der Winzer bestimmen, wann die Trauben den optimalen Reifegrad erreicht haben. Er pflückt die Beeren, zerdrückt sie und bestimmt daraus Zucker und Säure. Eine unserer Ideen besteht darin, einen störungsfreien Handsensor zu entwickeln. Der Winzer hält den Sensor an die Traube und bekommt direkt Zucker und Säure angezeigt, ohne Proben nehmen zu müssen. Die Kalibration eines solchen NIR-Sensors für verschiedenen Rebsorten ist uns in den ersten drei Projektjahren gelungen, nun geht es um die Erstellung genauer Messprotokolle für die Weinbaupraxis.
Welche Hürden stehen diesen Entwicklungen im Weg?
Die größte Hürde oder auch die wichtigste Voraussetzung ist natürlich eine leistungsfähige digitale Infrastruktur. Da stoßen wir nach wie vor an unsere Grenzen, weil wir schlecht angebunden sind. Eine weitere Herausforderung sind die Kosten. Wir müssen Lösungen entwickeln, die sich die Winzer auch leisten können. Sonst hilft auch die beste Forschung nicht.
Zudem handelt es sich beim Weinbau natürlich um ein sehr traditionsreiches Gewerbe. Da gibt es immer wieder Winzer, die einfach sagen „Das haben wir früher auch nicht gemacht, also brauchen wir das nicht.“ Gerade in der jüngeren Generation herrscht da aber bereits viel mehr Offenheit. Lösungen wie beispielweise der oben geschilderte Sensor zur Bestimmung der Traubenreife bedeuten ja nicht, dass Expertise und Tradition nicht mehr wertgeschätzt werden.
Brauchen wir denn die Digitalisierung im Weinbau?
Die Frage ist, können wir es uns leisten, nicht mit der Zeit zu gehen? Abgesehen von dem Gebot, die gesamte Landwirtschaft nachhaltiger zu machen, müssen wir auch international mithalten. Wenn ich mit Kollegen aus Australien oder den USA spreche, spürt man viel weniger Zurückhaltung gegenüber digitalen Lösungen. Aber auch in Europa – in Frankreich, Spanien, Italien und Portugal – wird viel zu Sensoren und Robotern geforscht. Privat sind wir alle schon sehr digital unterwegs, nutzen diverse Apps auf dem Handy, und so wird sich das auch bei den Landmaschinen und Geräten weiter fortsetzen – nicht um Menschen zu ersetzten, sondern um sie zu unterstützen. Fachkräftemangel haben wir auch in der Landwirtschaft, und digitale Technologien können auch hier eine Unterstützung sein, um zum Beispiel schneller und effizienter zu arbeiten.
Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft aus?
Ich stelle mir gerne vor, wie der Kunde in der Winzergenossenschaft, aber auch im Supermarkt, einen QR-Code auf der Weinflasche scannt und dann genaue Informationen darüber bekommt, wie und wo die Reben gewachsen und der Wein entstanden sind. Der Winzer könnten beispielsweise Videos seiner Abläufe machen und sie mit dem Endprodukt verknüpfen. Das gibt es in Einzelfällen bereits und beim Kunden kommt das gut an. Noch wichtiger aber ist mir, dass die Lösungen, die wir jetzt entwickeln, später bei vielen Winzern im tagtäglichen Einsatz sind. Davon sehen wir als Endverbraucher nichts, aber dem Winzer erleichtert es seine Arbeit. Mit einem Blick auf die App sehen, wie die Pflanzenschutzmittel-Applikation läuft, was ich noch an Mitteln im Lager habe oder wie der aktuelle Gärverlauf vom Chardonnay Sonnenberg aussieht – das wäre doch etwas!