An der Wupper in NRW soll mit künstlicher Intelligenz besser vor Hochwasser gewarnt werden. Foto: Wupperverband
Im Bergischen Land hat ein Konsortium für ein Forschungsprojekt zum Einsatz künstlicher Intelligenz Fördergelder in Höhe von 2,8 Millionen Euro erhalten. Christian Förster, Leiter Fachinformationssysteme & Datenanalytik beim Wupperverband, erklärt im Interview, worum es dabei geht.
Herr Förster, wie kam es zu dem Projekt Hochwasserschutzsystem 4.0?
Das Bergische Land war vom großen Hochwasser 2021 stark betroffen. Die Schäden waren enorm. Auch bei der Heinz Berger Maschinenfabrik gab es Überschwemmungen, und das Unternehmen startete sofort Bemühungen, um mithilfe von Sensoren die Vorhersagen entlang der Wupper weiter zu verbessern. Wir als Wupperverband betreiben seit Jahren ein umfangreiches Messnetz zur Erfassung der Wassersituation im gesamten Wuppereinzugsgebiet. Es fanden sich schnell verschiedene Partner zusammen, die gemeinsam den Hochwasserschutz – insbesondere die Vorhersage – verbessern wollten. Wir formulierten einen Projektantrag und gingen auf die Suche nach Fördergeldern.
Was genau soll im Rahmen des Projekts erforscht werden und was tragen die einzelnen Partner dazu bei?
Wir wissen, dass Hochwasserereignisse und urbane Sturzfluten immer häufiger auf uns zukommen werden. Wir müssen also schneller und besser reagieren, unter anderem indem wir die Meldesysteme verbessern und ausbauen. Wir erheben seit Jahrzehnten regelmäßig Daten, aber dadurch, dass wir immer zeitlich hochaufgelöster messen – beispielsweise im Ein- oder Fünf-Minuten-Takt, wo man früher vielleicht nur einmal am Tag gemessen hat – kommt eine riesige Datenmenge zusammen, die mit herkömmlichen Methoden oder durch Menschen nicht mehr zu bewältigen ist.
Wir wollen daher erforschen, wie künstliche Intelligenz dabei helfen kann, diese Daten schneller auszuwerten, auf ihrer Grundlage präzisere Vorhersagen zu treffen und daher die Menschen schneller zu informieren und zügiger Maßnahmen ergreifen zu können. Ein KI-gestütztes System könnte die datengetriebene Vorhersage von regionalen Wasserpegeln und Hochwassergefahren unter Berücksichtigung der aktuellen Wetterlage und sonstiger Umweltfaktoren verbessern. Aus den Daten digitaler Sensoren, die die Pegelstände an Gewässern, Rückhaltebecken und Kanälen sowie weitere Faktoren wie Niederschlagsmengen, Luftfeuchtigkeit und Windrichtung messen, soll die künstliche Intelligenz Muster erkennen, die im Zusammenhang mit einem Anstieg der Pegelstände stehen.
Wir beim Wupperverband stellen dazu beispielsweise das wasserwirtschaftliche Know-how und die dazu nötigen langen Datenreihen zur Verfügung. Für die Entwicklung der KI-Lösung brauchen wir aber die Kompetenz der Universität Wuppertal. Die Stadtwerke Wuppertal betreiben ebenfalls Sensorik im gesamten Stadtgebiet und verfügen zudem über nützliche WLAN- oder LoRaWAN-Netzwerke, die die Anbindung weiterer Sensoren erleichtern. Jeder der Partner trägt seine eigene Expertise bei. Ich muss sagen, dass die Zusammenarbeit sehr bereichernd ist. Durch die lange Phase der Beantragung von Fördergeldern sind wir bereits sehr stark zusammengewachsen, bevor es überhaupt richtig losging. Alle Beteiligten sind hochmotiviert.
Am 1. Juni fiel der Startschuss. Wie geht es jetzt weiter und welche Ergebnisse erhoffen Sie sich letztendlich?
Wir müssen uns jetzt erst einmal organisieren, die nötigen Stellen ausschreiben, die wir jetzt besetzen dürfen, eine Kommunikationsstruktur aufbauen. Danach geht es an die konkrete Erforschung und Umsetzung.
Ich erhoffe mir vor allem eine Lösung in Form einer App, mit der die Bevölkerung viel präziser informiert wird. Wenn die Menschen zu ungenaue oder zu häufig Meldungen bekommen, besteht die Gefahr, dass sie nicht mehr ernst genommen werden. Wir brauchen eine Lösung, die zum Beispiel ganz gezielt die Anwohner in der Kohlfurth, einem Stadtbezirk entlang der Wupper in Wuppertal informiert, dass die Pegelstände dort in kurzer Zeit stark steigen werden – und zwar am besten mit mehr Vorlaufzeit, als wir es heute können. Wichtig wäre auch die Anbindung an die Krisenstäbe, um beispielsweise das Stromnetz abzuschalten oder Bezirke zu evakuieren.
Wie beurteilen sie insgesamt das Potenzial von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz für Anliegen im kommunalen Umfeld?
Ohne Digitalisierung geht es nicht mehr, und wahrscheinlich bald auch nicht mehr ohne KI. Mit digitalen Technologien arbeiten wir seit Jahren und sehen die Vorteile ganz klar im Arbeitsalltag. Datenströme auswerten und automatisieren – das ist heute undenkbar auf Papier, allein schon aufgrund der schieren Menge an Daten. Die KI kann zusätzlich die Schlüsse, die man aus den Daten ziehen kann, verbessern. Ich kann mir sehr viele Anwendungsbereiche vorstellen – natürlich immer unter Berücksichtigung des Datenschutzes, der aber in unserem Fall bei Messwerten natürlich kaum eine Rolle spielt. Daher hat die KI gerade im technischen Bereich sehr großes Potenzial, da weniger Hürden als in anderen Bereichen bestehen.
Das Forschungsprojekt lotet die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz aus, um Gefahren durch Überschwemmungen präziser und schneller als etablierte Warnsysteme zu erkennen. „Das Projekt, Hochwasserschutzsystem 4.0‘ im Bergischen Land zeigt, wie künstliche Intelligenz im Ernstfall dazu beitragen kann, rechtzeitig notwendige Schutzmaßnahmen zu ergreifen, so Leben zu retten und auch größere Schäden an Gebäuden und Infrastruktur zu vermeiden“, sagte die nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur als sie Ende Mai 2023 für das Projekt Förderbescheide über insgesamt 2,8 Millionen Euro überreichte.
Zu den beteiligten Akteuren gehören die Heinz Berger Maschinenfabrik, der Wupperverband, die Bergischer Universität Wuppertal, die Bergischer Struktur- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft,
die Wuppertaler Stadtwerke und die Bergischer Industrie- und Handelskammer Wuppertal-
Remscheid-Solingen. Das Projekt ist Teil der Flagship-Initiative der Kompetenzplattform KI.NRW.
„Wir sind davon überzeugt, dass künstliche Intelligenz dazu da ist, um zu helfen. In nahezu allen Bereichen gibt es Potenziale, die wir mit KI heben können, egal ob in der Medizin, der Produktion oder beim Thema Nachhaltigkeit. Das Projekt ,Hochwasserschutz 4.0‘ zeigt, dass KI auch bei der Sicherung unserer Dörfer und Städte zum Einsatz kommen kann. Wir freuen uns daher sehr, dieses Vorhaben in unsere Initiative mit aufzunehmen und sind uns sicher, dass es das KI-Ökosystem in NRW bereichern wird“, sagt Dr. Christian Temath, Geschäftsführer KI.NRW.