Euskirchen: Wie TeleDoc-Stationen die Versorgung verbessern - Digitales Bürgernetz

Neue Wege in der Pflege: Der Teledoc schließt Versorgungslücken auf dem Land

#Gesundheit 22. Januar 2025

Im Kreis Euskirchen können Ärztinnen und Ärzte per Telemedizin Krankenbesuche im Altenheim durchführen, unterstützt von speziell geschultem Personal. © Kreis Euskirchen

Was tun, wenn der nächste Arzt weit, der Betreuungsbedarf aber dringend ist? Der Kreis Euskirchen nutzt die Möglichkeiten der Digitalisierung. Bereits 2023 haben die Verantwortlichen ein Telemedizin-Projekt gestartet, um die medizinische Versorgung in Alten- und Pflegeheimen zu verbessern. Denn der Hausärztemangel führt dazu, dass Bewohnerinnen und Bewohner oft nur eingeschränkt versorgt werden können. Mit TeleDoc-Stationen können Ärztinnen und Ärzte jetzt zur virtuellen Visite vorbeischauen. Das eigens geschulte Pflegepersonal unterstützt vor Ort, indem es Blutdruck, Blutzuckerspiegel oder Sauerstoffsättigung misst und die Ergebnisse dokumentiert. Auch in den digitalen Arztbesuch selbst ist das Personal eingebunden.

Das Projekt haben die AOK Rheinland/Hamburg, Docs in Clouds TeleCare und der Zweckverband Region Aachen gemeinsam mit dem Kreis Euskirchen entwickelt. Verhandelt wurde auch ein spezieller Selektiv-Vertrag zwischen Heimen und Krankenkassen, damit die Heime ihre Leistungen und Aufwendungen abrechnen können. Die TeleDoc-Stationen sind heute erfolgreich in elf Pflegeheimen im Einsatz.

Die Macher von Teledoc im Interview bei der Preisverleihung „Digitale Orte 2024“

Markus Ramers, Landrat des Kreises Euskirchen, und Michael Franssen, Technologiescout und Projektentwickler beim Kreis Euskirchen, berichten, wie die Zusammenarbeit zwischen Pflegeeinrichtungen und Ärzten funktioniert und wie es mit dem Projekt weitergeht.

Seit vergangenem Jahr gibt es in einigen Alten- und Pflegeheimen im Kreis Euskirchen sogenannte TeleDoc-Stationen, die bei der ärztlichen Versorgung der Patientinnen und Patienten unterstützen. Wie sind Sie bzw. der Kreis Euskirchen auf die Idee gekommen, es mit dem TeleDoc zu versuchen?

Markus Ramers: Im ländlichen Raum haben wir nicht so viele Ärzte wie in der Stadt. Deswegen sind wir vor etwa zehn Jahren auf die Idee gekommen, in der Notfallversorgung technische Lösungen einzusetzen: In unseren Rettungswagen fahren seit einigen Jahren Kameras mit, über die sich ein Notarzt zuschalten kann, um den Notfallsanitäter zu unterstützen. Die Telemedizin war für uns daher nicht neu, als wir uns mit der Situation in den Pflegeeinrichtungen beschäftigt haben. Dort können freie Betten manchmal nicht belegt werden, weil der Hausarzt für die Betreuung fehlt und die Anfahrtswege im ländlichen Raum zu weit sind, um wöchentlich zur Visite vorbeizukommen.

Der TeleDoc hatte ein Vorläuferprojekt – AIDA – unter der Konsortialführung der Uniklinik RWTH Aachen, in dem das Modell mit der telemedizinischen Betreuung im Pflegeheim ausprobiert wurde. Auf dieser Grundlage haben wir dann auf Initiative der AOK weitergemacht: Pflegeeinrichtungen überzeugt und mit dem Unternehmen Docs in Clouds an der technischen Lösung gefeilt. So ist der TeleDoc in elf Pflegeeinrichtungen eingezogen. Das ist etwa ein Drittel der Heime – ganz gut für den Start!

Vier Männer stehen nebeneinander und zeigen die Auszeichnung im Wettbewerb Digitale Orte.
Der TeleDoc wurde beim Wettbewerb Digitale Orte in der Kategorie Gesundheit ausgezeichnet. Den Preis nahmen Werner Haag (AOK), Dr. Michael Czaplik (Docs in Cloud), der Euskirchener Landrat Markus Ramers und Projektentwickler Michael Franssen (v. l. n. r.) entgegen. © privat

Betrifft die Problematik, die Sie gerade geschildert haben, speziell den Kreis Euskirchen oder viele ländliche Regionen?

Markus Ramers: Ähnliches habe ich schon von Landratskollegen oder von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gehört: Der ländliche Raum hat ein massives Problem mit der Versorgung durch Hausärzte und Fachärzte. In den Pflegeheimen gibt es noch eine besondere Situation. Man möchte vermeiden, dass die Bewohnerinnen und Bewohner ins Krankenhaus müssen, weil ein Krankenhausaufenthalt oft besonderen Stress bedeutet – zum Beispiel für Demenzkranke. Gleichzeitig hat das Pflegepersonal oft keine andere Möglichkeit, als die 112 anzurufen, wenn die Hausarztpraxis geschlossen hat. Mit dem TeleDoc gibt es jetzt die Option, mit weniger Aufwand den Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten zu überprüfen und dann zu entscheiden, welche Behandlung angemessen ist. Ein weiterer Vorteil ist, dass in den Heimen ja bereits medizinisch geschulte Kräfte arbeiten. Bei den virtuellen Visiten des TeleDoc spielen sie eine besonders wichtige Rolle.

 

Nehmen Sie uns mit: Wie läuft so eine Visite ab?

Markus Ramers: Jede Einrichtung macht das etwas anders. Generell stimmt sich der Hausarzt mit der Leitung des Hauses darüber ab, wann die Televisite stattfindet. Das Heim wählt jeweils aus, welche Patienten untersucht werden, und erhebt bestimmte Vitalwerte wie beispielsweise den Blutdruck. Der Arzt kann diese Werte dann in der TeleDoc-Software digital einsehen und seine Befunde hinterlegen.

Zur Visite wird die TeleDoc-Station in das Zimmer des Bewohners gerollt. Der Arzt führt zusätzliche Untersuchungen durch bzw. delegiert diese: Dann hält die Pflegekraft beispielsweise das Stethoskop auf die Brust des Patienten und der Arzt kann mit seinem Equipment die Herztöne abhören. Es ist auch möglich, ein EKG zu machen oder mit der Kamera näher an Körperstellen zu zoomen.

Die Ärzte berichten, dass sie so ein gutes Gefühl dafür entwickeln, wie es den Menschen geht. Umgekehrt erleben die Patienten und die Einrichtungen den TeleDoc oft als Upgrade, der häufigere Arztbesuche ermöglicht.

 

Welche technischen Systeme kommen dabei zum Einsatz?

Michael Franssen: Der TeleDoc sieht aus wie ein Visitenwagen, auf dem sich das technische Equipment befindet. Für das EKG gibt es zum Beispiel ein scheckkartengroßes Gerät, auf das für die Messung zwei Finger aufgelegt werden. Zur Ausstattung gehört unter anderem auch ein Blutdruckmessgerät, ein Ultraschallgerät ist optional erhältlich. Zusätzlich gibt es eine Kamera und einen eigenen Bildschirm für die Patienten, so dass sie Auge in Auge mit dem Arzt kommunizieren können. Das ist für die Bewohner wichtig, denn so haben sie das Gefühl, wirklich im Gespräch mit dem Arzt zu sein. Ein weiterer Bildschirm ist für die Kommunikation zwischen Pflegefachkraft und Arzt vorgesehen, auf dem auch die medizinischen Daten zu sehen sind.

Es gibt aber auch Daten, die telemedizinisch nicht zu erfassen sind: nämlich die Beobachtungen der Pflegekraft. Deswegen ist es gut, dass sie bei der Untersuchung in den Austausch mit dem Arzt geht – die Visite ist dann kein Dialog, sondern ein Trialog.

Der TeleDoc wertet die Pflegekräfte auf, weil sie mit ihren Kompetenzen stärker in die Untersuchung und die anschließende Behandlung eingebunden sind. Über den Selektiv-Vertrag mit den Krankenkassen wird diese Leistung auch vergütet.

 

Wie reagieren ältere Menschen auf den TeleDoc? Und auf was musste sich das Personal beim TeleDoc einstellen?

Michael Franssen: Im Großen und Ganzen haben alle sehr positiv reagiert. Eine Patientin hat direkt gesagt: Ach, das ist ja wie Facetime! Eine andere war in der Rückschau überzeugt, dass der Arzt tatsächlich dagewesen ist, weil sie ihn ja auf dem Bildschirm gesehen hatte. Die technische Hemmschwelle ist also nicht sehr hoch.

Die Pflegekräfte wurden extra für den Umgang mit der Technik geschult, weil sie vor und während der Untersuchung eine aktivere Rolle haben.  Zusätzlich müssen die Pflegekräfte die Teledoc-Visite organisatorisch vorbereiten: Sie müssen entscheiden, welche Patienten in welcher Reihenfolge besucht werden, und die besprochenen Werte in die elektronische Dokumentation eintragen, damit bei der Untersuchung alle Daten vorliegen.

 

Welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, damit dieses System funktioniert?

Michael Franssen: Die Einrichtung braucht eine Datenanbindung in allen Räumen, in denen eine Untersuchung mit dem TeleDoc stattfindet. Und sie braucht Personal, das im Umgang mit dem System geschult ist. Drittens müssen die Ärzte mitspielen und bereit sein, sich auf diese Art der Behandlung einzulassen.

Für die Akzeptanz des TeleDoc ist aber auch wichtig, dass sich der Einsatz für die Pflegeeinrichtung finanziell rechnet: Das ist nach unserer Erfahrung der Fall, wenn in einer Einrichtung fünf bis acht telemedizinische Untersuchungen pro Woche durchgeführt werden. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Selektiv-Vertrag mit der AOK und der IKK, über den die Pflegeheime ihre Kosten abrechnen können. Gerade wird intensiv daran gearbeitet, dass sich auch andere Krankenkassen diesem Vertrag anschließen. Dies ist mit Blick auf die Versorgungslage gerade in ländlichen Regionen ein wesentlicher Punkt, um den schwierigen Rahmenbedingungen entgegenzuwirken.

 

Welche Ergebnisse haben Sie nach über einem Jahr Betrieb? Was hat sich verbessert? Wo sehen Sie Änderungsbedarf?

Markus Ramers: Was ich mitnehme, ist, dass die technischen Fragen gar nicht die größten Hürden sind. Es sind eher Fragen der Organisation und der Finanzierung der Investitionskosten, die uns beim TeleDoc-Projekt beschäftigen. Ich finde es sehr positiv, dass viele Ärzte und Pflegeeinrichtungen mit uns überlegen, wie man es verbessern kann. So ist bereits der zweite Bildschirm ergänzt worden, auf dem die Patienten direkt das Gesicht des Arztes sehen.

Eine weitere Frage, die wir in Zukunft lösen wollen, ist die Betreuung am Wochenende oder in den Abendstunden. Die übernimmt regulär der ärztliche Notdienst, aber der Kreis Euskirchen ist ein riesiges Gebiet: Auf 1.250 Quadratkilometern haben wir nur zwei Notdienste. Vielleicht können wir den TeleDoc auch in diesem Bereich nutzen. Wir bleiben also nicht stehen, sondern wollen das System möglichst erweitern.

 

Michael Franssen: Bereits das Vorläuferprojekt AIDA konnte zeigen, dass die telemedizinische Betreuung in Pflegeheimen zu 34 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen führt. Das hat sich bestätigt und das macht natürlich einen signifikanten Unterschied.

Schön finde ich auch, dass es immer mehr Ärzte gibt, die im TeleDoc keine zusätzliche Belastung, sondern eine Chance sehen. Eine Praxis hat eine junge Ärztin eingestellt, die die telemedizinischen Untersuchungen aus dem Homeoffice machen kann. Solche Arbeitsmodelle können die Versorgung im ländlichen Raum verbessern. Wir haben im Kreis Euskirchen auch schon eine Facharztpraxis, die ihre Leistungen über den TeleDoc anbieten möchte. Und ich kann Ihnen sagen: Fachärzte ins Altenheim zu kriegen, ist wie ein Sechser im Lotto!

Ich bin sehr guter Dinge, dass sich das Projekt in den kommenden Jahren entsprechend entwickeln wird, dass weitere Heime dazukommen – und vielleicht auch andere Regionen unser Modell übernehmen. Seitdem wir den Preis bei Digitale Orte gewonnen haben, gab es schon zwei Anfragen. Wir freuen uns, wenn wir anderen mit unserer Erfahrung weiterhelfen können.

 

TeleDoc in Euskirchen

Auf dem Land gibt es immer weniger Hausärztinnen und -ärzte. Das schränkt die medizinische Versorgung auch in Alten- und Pflegeheimen ein. Im Kreis Euskirchen können Ärztinnen und Ärzte per Telemedizin Krankenbesuche durchführen, unterstützt von speziell geschultem Pflegepersonal. Der höhere Aufwand der Pflegeeinrichtung wird mit einem speziellen Selektiv-Vertrag zwischen Krankenkassen und Heimen vergütet.

Das Projekt wurde im Rahmen von Care and Mobility Innovation, das vom Land NRW und der Europäischen Union gefördert wurde, unterstützt. Projektpartner des Kreises Euskirchen sind die AOK Rheinland/Hamburg, Docs in Clouds und der Zweckverband Region Aachen. Mittlerweile setzen elf Heime im Kreis Euskirchen die Telemedizin erfolgreich ein.

Das Projekt hat beim Wettbewerb Digitale Orte 2024 den Preis in der Kategorie Gesundheit gewonnen.

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