Gemeinsam arbeiten in der Natur © Alsenhof/Manuel Dingemann
„Leute auf dem Land kommen auf lustigere Ideen, weil sie andere Probleme zu lösen haben“, sagt Nicole Dau. Mit ihrem Mann zog sie vor drei Jahren aus der Stadt Hamburg in ein Tinyhouse im Wendland. Einige Zeit pendelte sie regelmäßig zu ihrem Bürojob in die Großstadt: „Fünf Uhr morgens aufstehen, im Stau stehen und das Ganze zurück noch einmal, da war der Tag fast schon gelaufen“, erzählt die 35-Jährige. Heute ist sie Coworkerin. Ihr Arbeitsplatz ist ein Coworking-Space ganz in der Nähe ihres Wohnortes. Je nach Bedarf mietet sie sich einen Arbeitsplatz, der alle Infrastruktur bietet, die sie braucht: Schnelles Internet, gute Drucker, Konferenzräume, leckeren Tee. Und sie hat – anders als im Homeoffice – Menschen um sich, Menschen aus unterschiedlichen Branchen und Berufen. Heute sind es zum Beispiel zwei Kolleginnen von CoWorkLand, ein Zimmermann, ein Kunstpädagoge, eine Schauspielerin, eine SEO-Beraterin und ein Fotograf, die an den Plätzen nebenan arbeiten. „Homeoffice ist für manche Arbeiten sicherlich hilfreich, aber ich brauche auch den persönlichen Austausch“, sagt die studierte Geowissenschaftlerin, die über den Wissenschaftsjournalismus zur PR kam. „Das tut meinem seelischen Wohlbefinden gut und es ist auch hilfreich für die Qualität meiner Arbeit.“
Nicole Dau ist zur Hälfte freiberufliche Autorin und PR-Beraterin. In der anderen Hälfte ihrer Arbeitszeit kümmert sie sich um die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Genossenschaft CoWorkLand. Diese Genossenschaft, die 2019 gegründet wurde, unterstützt Menschen, die einen Coworking-Space im ländlichen Raum gründen wollen und sorgt für Erfahrungsaustausch unter bestehenden Coworking-Spaces in ländlichen Regionen. Die Mitglieder können auf ein überregionales Marketing und eine Buchungs- und Abrechnungsplattform zurückgreifen. Auf dieser gemeinwohlorientierten Plattform werden die Kräfte der kleinen Coworking-Initiativen auf dem Land gebündelt und so von den großen Vermarktungsmonopolisten unabhängig. Das Konzept funktioniert. Inzwischen sind gut 70 Coworking-Initiativen auf der Plattform www.coworkland.de zu finden, nach Postleitzahlen kann man den nächstgelegenen Coworking-Space finden und sich einmieten. Auch Neuigkeiten, Stellenanzeigen, Geschichten und Events rund um das Thema Coworking auf dem Land gibt es hier.
Angefangen hat alles in Schleswig-Holstein. Im Jahr 2017 startete die Initiative als ein vom Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE) gefördertes Modellprojekt in Kooperation mit der Heinrich Böll-Stiftung Schleswig-Holstein. Die Initiatoren sahen die Vorteile ganz klar: Coworking auf dem Land sorgt für weniger Verkehr, ist kostengünstig und schafft neue Orte der Begegnung. Mit PopUp-Coworking-Spaces in Containern fuhren sie in ländliche Regionen und boten den Menschen dort an, das CoWorking kostenlos zu testen. „Es ging darum, herauszufinden, wie die jeweiligen lokalen Eigenheiten und Bedürfnisse sind“, erklärt Nicole Dau. „Wir wollten wissen, wie die Leute das finden und was sie brauchen, um sich wohl zu fühlen und gut arbeiten zu können.“ Manchmal war das ein spezieller Drucker oder auch ein Café oder eine Kita, manchmal ein Tonstudio.
Immer mehr Kommunen baten um Unterstützung beim Aufbau eines festen Coworking-Spaces.
Nicole Dau
Schon nach wenigen Monaten zeigte sich, dass das Projekt offenbar genau das traf, wonach sich viele Menschen auf dem Land sehnten. „Die Nachfrage war plötzlich riesig“, berichtet Nicole Dau. „Immer mehr Kommunen fragten an, wollten ein Popup und baten um Unterstützung beim Aufbau eines festen Coworking-Spaces.“ Um dieser hohen Nachfrage gerecht werden zu können, wurde im Februar 2019 die Genossenschaft gegründet. Inzwischen sind es 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die weiter mit Popup-Coworking-Spaces durchs Land fahren, für Gründungsinitiativen da sind oder die Arbeit der festen Coworking-Spaces auf dem Land vernetzen. Die Genossenschaft arbeitet gemeinwohlorientiert. Sie investiert einen Teil der Gewinne in soziale Projekte der ländlichen Entwicklung. Welche das sind, darüber stimmen die Genossinnen und Genossen gemeinsam ab. Ein anderer Teil der Rendite wird an die Mitglieder über die Genossenschaftsanteile wieder ausgeschüttet und trägt so zur Sicherung der wirtschaftlichen Grundlage bei. Und ein dritter Teil wird in die Weiterentwicklung der Plattform investiert.
Die Wirkung der Arbeit der Genossenschaft zeigt sich schon jetzt. „Dörfer, die sonst am Tag wie ausgestorben sind, werden durch das Coworking wiederbelebt“, schwärmt Nicole Dau. Davon profitiert auch das lokale Gewerbe. „Wir nennen das den Korallenriff-Effekt“, sagt die Pressesprecherin. „Denn in dem Moment, wo sich etwas Festes wie ein Coworking-Space ansiedelt, zieht das einen Rattenschwanz nach sind. Plötzlich macht es Sinn, ein Restaurant zu betreiben. Und die Menschen bleiben auch zum Einkaufen wieder hier.“
Und nicht nur das. Die Räume in Coworking-Spaces werden auch gern und oft für Treffen von Vereinen und Netzwerken genutzt, manchmal gibt es eine Feier. „Coworking-Spaces auf dem Land sind neue Orte der Begegnung“, sagt Nicole Dau. Sie sind eine große Chance, ländliche Räume (wieder)zu beleben und den Menschen vor Ort Begegnungen, Lebensqualität und Vielfalt zu ermöglichen.
Mehr erfahren und Coworking-Spaces auf dem Land in ganz Deutschland finden: www.coworkland.de