Wie gelingt die Digitalisierung in der Verwaltung? In vielen Rathäusern landauf, landab werden Lösungen gesucht. © Getty Images
Ein Chief Digital Officer auch in kleineren Kommunen? Warum das wichtig ist, erklärt Marc Groß, Programmbereichsleiter bei der KGSt. Im Interview spricht er über Kreativität und Neugier in der Verwaltung – und darüber, wie sich Bürokratie vermeiden lässt.
Herr Groß, Sie sind Programmbereichsleiter Organisations- und Informationsmanagement bei der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt). Wie unterstützen Sie Kommunen bei der Digitalisierung?
Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, kurz KGSt, ist ein kommunaler Fachverband für Städte, Kreise und Gemeinden aller Größenklassen. Die KGSt ist gegründet worden, um Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, denn das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden. Mit Vorreitern – das sind Kommunen, die Themen wie beispielsweise die Digitalisierung angehen – bilden wir Arbeitsgruppen. Dort entstehen Berichte und Handlungsempfehlungen, die anderen Kommunen helfen, schneller in die Umsetzung zu kommen und Projekte gut zu strukturieren. Grundsätzlich umfasst unsere Arbeit drei Bereiche: Forschung und Entwicklung, Beratung und Seminare und Kongresse. In allen Bereichen arbeiten wir natürlich auch für kleinere Kommunen, auch wenn sich der Blick oft auf die größeren Kommunen richtet. Denn unsere Empfehlungen lassen sich besser auf die Kleineren herunterskalieren als dies umgekehrt möglich wäre.
Wie gehen Sie das große Themenfeld der Digitalisierung an?
Wir setzen uns mit dem gesamten Ökosystem der Digitalisierung auseinander. Das bedeutet, dass wir den Blick nicht nur auf die Verwaltung richten, sondern auch die Wirtschaftsstruktur und die örtlichen Gemeinschaften mitbedenken. Gerade der Regionalgedanke ist für die kleineren Städte und Gemeinden von großer Bedeutung, weil man wichtige Bündelungseffekte erzielen kann. Ein entscheidendes Thema ist das Prozessmanagement. Das ist der Schlüssel zum Gelingen der Digitalisierung einer Verwaltung. Auch da schauen wir natürlich, wie die kleineren Verwaltungen, die nicht so viele Ressourcen zur Verfügung haben, sich das Thema schnell und praktikabel erschließen können. Ebenfalls wichtig sind Rollenmodelle: Bei der Digitalisierung von Kommunen ist es von zentraler Bedeutung, dass wir eine verantwortliche Person, einen Chief Digital Officer haben, bei dem alle Maßnahmen und Teilprojekte zusammenlaufen. Solche CDO werden auch in kleineren Kommunen gebraucht und eingesetzt.
„Die größte Gefahr ist es, zu sehr in Silos zu denken, also dass Bereiche in einer Verwaltung jeweils für sich digitalisieren. Denn wir müssen die Digitalisierung in der Verwaltung in der ganzen Breite als Querschnittsaufgabe denken.“
Marc Groß, Programmbereichsleiter bei der KGSt
Das heißt also, jede Kommune, und sei sie noch so klein, braucht einen Chief Digital Officer?
Jeder Digitalisierungsprozess, aber nicht zwingend jede einzelne Kommune. Auch in dieser Frage kommt es auf die Größe der kleinen Kommunen an. Man sollte grundsätzlich in größeren Zusammenhängen wie etwa Landkreisen oder Regionalverbänden denken und durch die Zusammenarbeit mehrerer Kommunen mit ähnlichen Bedürfnissen und regionalen Rahmenbedingungen Potenziale erkennen und Synergien heben. Allerdings lässt sich die Aufgabe eines CDO nicht ganz auslagern – denn jede Gemeinde hat ihre örtlichen Spezifika und Akteurinnen und Akteure, die bei der Digitalisierung mitgedacht und beteiligt werden müssen. Es muss ja auch keine ganze CDO- Stelle sein – auch die Bürgermeisterin kann das mit übernehmen.
Welche Fehler sehen Sie?
Die größte Gefahr ist es, zu sehr in Silos zu denken, also dass Bereiche in einer Verwaltung jeweils für sich digitalisieren. Denn wir müssen die Digitalisierung in der Verwaltung in der ganzen Breite als Querschnittsaufgabe denken. Und natürlich muss sie aus Perspektive der Zielgruppe, also in diesem Falle der Bürgerinnen und Bürger, konzipiert werden. Das weiß im Grunde jeder. Aber trotzdem denken wir auch heute noch zu oft Digitalisierung aus Verwaltungsperspektive. Wir sollten uns fragen: Wie hätten die Bürgerinnen und Bürger gern diese Leistung? Sonst wird es bürokratisch.
Die Kommunen in Deutschland sind sehr unterschiedlich – nicht zuletzt, was die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel anbelangt. Hat das Auswirkungen auf die Digitalisierung der Verwaltungen?
Es ist klar: Wenn ich mehr Geld zur Verfügung habe, kann ich auch mehr tun. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Denn je weniger finanzielle Ressourcen ich habe, desto höher ist vielleicht mein Kreativitätspotenzial und desto mehr denke ich zwangsläufig in Gemeinschaften, in Zusammenarbeit. Es ist wie gesagt unabhängig von der finanziellen Ausstattung immer zielführender, Dinge gemeinsam voranzubringen, als das Rad immer wieder neu zu erfinden. Dabei denke ich nicht nur an das Personal, sondern auch an gemeinsame Infrastrukturen.
Wenn wir über Infrastrukturen sprechen, dann sollten wir über die Internetanbindung der ländlichen Räume nicht schweigen.
In der Tat zeigt der Online-Atlas noch immer weiße Flecken. Das ist ein Manko, daran muss intensiv gearbeitet werden. Und an vielen Stellen wird da jetzt auch was gemacht. Aber die Frage ist natürlich: Wie schnell kann der ländliche Raum nachziehen? Denn gerade dort spielt das Thema „Breitband“ eine zentrale Rolle, wenn wir vernetzte Angebote etwa im ÖPNV betrachten, ist also entscheidungskritischer als in den Städten und Ballungsräumen.
Zurück in die Verwaltung: Sie sprachen von Kreativitätspotenzialen. In diesen Tagen findet das wieder das „Creative Bureaucracy Festival“ statt, bei dem Sie 2020 als Speaker dabei waren. „Kreativität“ und „Verwaltung“ – wie hängt das zusammen?
Vom Bauchgefühl widersprechen sich beide Begriffe ein bisschen. Aber wenn ich in die Verwaltungen hineinschaue, sehe ich ein anderes Bild. Was wir in den Verwaltungen brauchen – und auch haben, ist Neugier. Neugier, sich mit Technologien auseinanderzusetzen, zu fragen, was hinter Themen wie etwa „Internet der Dinge“, „Big Data“, „Open Data“, Industrie 4.0“, „Cloud Computing“ oder „3-D-Druck“ eigentlich steckt. Und dann braucht es Menschen, die innovative Ideen kreieren, wie mit diesen Technologien Mehrwerte zu schaffen sind, wie sie die Lebens-, Arbeits- und Standortqualität verbessern können. Denn die digitale Verwaltung ist kein Selbstzweck, sie muss den Menschen dienen. Innovation und Kreativität sind eng miteinander verbunden.
Was heißt das für die Verwaltungen selbst?
Wir haben durch den demographischen Wandel in den kommenden Jahren einen großen Fachkräftemangel. Wir brauchen die Verwaltungsmodernisierung, um Prozesse zu verschlanken und auch in Zukunft Qualität in der Arbeit von Verwaltungen zu gewährleisten. Kreativität steht also nicht im Widerspruch zur modernen Verwaltung, sondern ist eine Notwendigkeit, um Verwaltungshandeln zukunftsfähig zu machen. Diese Kreativität müssen wir nicht nur innerhalb der Verwaltungen suchen und finden, auch wenn es im kommunalen Management viele tolle Leute mit guten Ideen gibt. Stattdessen müssen wir lernen, in noch viel höherem Maße die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Kenntnissen und Kreativpotenzialen einzubinden, etwa durch aktives Einholen von Impulsen aus der örtlichen und regionalen Wirtschaft, durch Hackathons oder Open Data Days.
Zur Person
Marc Groß leitet den Programmbereich Organisations- und Informationsmanagement in der KGSt. Er verantwortet in seiner Rolle die Vision und die Strategie einer zukunftsfähigen kommunalen Digitalisierung und eines progressiven Organisations- und Informationsmanagements. Die kommunal-digitale Transformation, die Bedeutung einer professionellen Steuerung von Digitalisierung und IT, die Facetten der Digitalen Daseinsvorsorge und die datenbasierte kommunalen Steuerung sind Schwerpunkte seiner Arbeit. Als Experte für kommunales Management diskutiert er dazu auf Podien, hält Vorträge und schreibt Artikel sowie Konzepte. Außerdem ist Marc Groß Co-Vorsitzender des Co:Lab e.V.