Die Evangelische Akademie hat ihren Sitz im Schloss Tutzing. © eat archiv,
Die Gymnasiastin Stella Imo vermisste an ihrer Schule in Tutzing Angebote zur gesellschaftspolitischen Bildung – und Demos waren nicht ihre Sache. Das Junge Forum an der Evangelischen Akademie wurde deshalb für sie zu einer wichtigen Anlaufstelle: Sie tauchte dort „in eine komplett neue Welt“ ein. „Ich konnte gar nicht genug bekommen von Veranstaltungen, Vorträgen und Workshops des Jungen Forums der Akademie“, schreibt sie rückblickend. Inzwischen studiert Stella Imo in München und ist Vorstandsvorsitzende der Jugend-Enquete-Kommission. Die Bildungsangebote des Jungen Forums waren für sie – aber auch für andere –
ein Anstoß, um sich in der Gesellschaft oder in der Politik für die Interessen junger Menschen zu engagieren. „Unser Ziel ist, Schülerinnen und Schülern, Studierenden und jungen Erwachsenen ein Forum anzubieten. In Tagungen und Workshops können sie über Klimapolitik, digitale Ethik oder jugendpolitische Themen wie die U18-Wahl diskutieren und weiter an den Themen dranbleiben“, sagt Julia Wunderlich. Sie ist Studienleiterin für Jugendpolitik und Jugendbildung am Jungen Forum der Akademie.
„Unser Ziel ist Bildung als freie Meinungsbildung und nicht als Fortbildung.“
Julia Wunderlich
In ländlicher Idylle, direkt am Starnberger See, mit den Alpen im Hintergrund, befindet sich die Bildungsstätte, vom Münchener Hauptbahnhof sind es mit dem Regionalzug etwa 30 Minuten bis nach Tutzing. Die Evangelische Akademie ist ein Ort für gesellschaftspolitischen Diskurs – und dafür bekannt in Bayern und weit darüber hinaus. In diesem Jahr feiert sie ihr 75-jähriges Bestehen. Das Junge Forum gibt jungen Menschen eine Stimme und greift ihre Themen auf. Im Zukunfts-Lab geht es um Fragen zur Digitalisierung, Umweltpolitik und Ethik, im Bar-Camp um Nachhaltigkeit und in Planspielen werden politische Entscheidungen simuliert. „Wir haben Angebote, die neben der schulischen und universitären Bildung stehen und bieten jungen Leuten eine Plattform, um zu diskutieren und sich eine eigene Meinung zu bilden, aber auch bestehende Positionen zu hinterfragen. Unser Ziel ist Bildung als freie Meinungsbildung und nicht als Fortbildung“, sagt Julia Wunderlich. Sie hat ein großes Netzwerk aufgebaut, arbeitet mit Schulen aus der Region und aus ganz Bayern zusammen, mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und mit Studierenden. Gemeinsam werden Veranstaltungen und Tagungen geplant. Die finden mit bis zu 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt, online wie analog. Zu jedem Thema lädt Julia Wunderlich Referentinnen und Referenten ein, die verschiedene Meinungen vertreten. „Das macht es so spannend, weil Streit und Widerspruch entstehen. Die jungen Menschen können dann selbst entscheiden, welche Position sie besonders überzeugt hat.“
Die jungen Gäste kommen hauptsächlich aus Bayern, einige aus dem Berchtesgadener Land und vom Chiemsee. „Für sie ist das Forum ein Leuchtturm im ländlichen Raum, wo es vielleicht wenig Angebote gibt“, sagt Julia Wunderlich. Mit Studentinnen und Studenten aus der Universität Bayreuth hat sie eine Veranstaltungsreihe zum Thema Digitalethik und junge politische Philosophie gestartet. Dazu hat sie einen Youtuber, einen Rechtsanwalt, eine Mitarbeiterin von Google, einen Informatiker und eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule für Philosophie in München eingeladen, um mit jungen Menschen darüber zu diskutieren, ob Algorithmen ein Gewissen haben und moralisch entscheiden können. Oder ob Künstliche Intelligenz Empfehlungen für die Rechtsprechung abgeben kann und wie sich Bürgerinnen und Bürger für ihre digitalen Rechte einsetzen können. In einem Online-Planspiel in Kooperation mit der Landeszentrale schlüpften Jugendliche in verschiedene Rollen, waren Bürgermeister, Gemeinderätin, Unternehmer oder Umweltaktivistin und sollten Entscheidungen treffen. „Dadurch erleben sie, wie schwierig es ist, verschiedene Interessen zu berücksichtigen und Kompromisse zu finden. Zum Beispiel beim Thema öffentlicher Nahverkehr, ob in Stadt oder Land. Sind neue Buslinien wichtiger oder neue Radwege?“, sagt Julia Wunderlich.
In der Corona-Pandemie sind viele neue Formate entstanden. Vor allem online. So konnte der Kontakt zum Jungen Forum aufrechterhalten werden. Und die jungen Leute waren froh, weiter Bildung zu erleben und sich mit anderen austauschen zu können. Denn viele saßen zuhause vor ihren Rechnern und fühlten sich allein gelassen. Auch, weil sie in der Gesellschaft wenig gehört wurden. Wie es ihnen in der Pandemie geht, drückten sie künstlerisch in digitalen Workshops des Jungen Forums aus. Für das Format „Your Voice! Be creative und meet online again“ holte sich Julia Wunderlich mit dem preisgekrönten Poetry Slammer Philipp Potthast, der Illustratorin Kathrin Rödl sowie dem Improvisationstheaterspieler Tobias Zettelmeier Verstärkung. Die Jugendlichen schrieben eigene Texte, slammten, gestalteten Comics oder spielten im Improvisationstheater mit. Die Ergebnisse flossen im März 2021 in das Jugend-Hearing der Bundesregierung ein. Online-Formate wird es weiterhin geben. Doch Julia Wunderlich ist froh, dass Veranstaltungen auch wieder vor Ort möglich sind. „Das hat eine eigene Magie, durch den Park zu spazieren, unten am See zu sitzen oder mit dem Ruderboot hinauszufahren und miteinander ins Gespräch zu kommen. Der Ort macht die Weite des Denkens auf.“
Zur Person
Julia Wunderlich studierte Psychologie und ist seit 2016 Studienleiterin für Jugendpolitik und Jugendbildung im Jungen Forum der Evangelischen Akademie Tutzing. Außerdem gehört sie dem Ständigen Ausschuss der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung an, die aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird.
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