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Sich kennenlernen, den anderen verstehen und einander mit Respekt begegnen: Das ist die Idee der Städtepartnerschaften. Sie bieten eine gute Möglichkeit, andere Länder, Kulturen und Sprachen kennenzulernen und Freundschaften über Grenzen hinweg zu knüpfen. Und sie leben von persönlichen Begegnungen: Schülerinnen und Schüler reisen zu ihrer Partnerschule ins Ausland, Familien nehmen Gäste aus der Partnerstadt auf, Chöre kommen von weit her zum Stadtfest angereist, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister tauschen sich über Projekte aus. Durch die Corona-Pandemie fielen viele dieser Besuche jedoch aus – auch in Bocholt. Seit Jahrzehnten hat die Kommune aus dem Kreis Borken Partnerstädte in Frankreich, Belgien und England. Sich digital zu treffen, war und ist daher eine willkommene Alternative. Statt persönlich kommen die Menschen nun in Videokonferenzen zusammen. Very british treffen sie sich online zum Tee oder lernen zusammen. „Wir versuchen so, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Mit Escape-Games für Jugendliche oder einem virtuellen Kaffeetrinken für ältere Menschen. Man muss aber immer einen Partner finden, der dazu bereit ist“, erzählt Petra Taubach, Partnerschaftsbeauftragte der Stadt Bocholt. „Die Initiative geht oft von uns aus.“
Seit beinah 70 Jahren ist das deutsche Bocholt im westlichen Münsterland, einer ländlich geprägten Region nahe der niederländischen Grenze, mit dem Namensvetter Bocholt in Belgien befreundet. „Die Stadt ist zwar viel kleiner, aber digital sehr gut aufgestellt. Da können wir viel lernen“, so Petra Taubach. Weitere Partnerstädte sind das französische Aurillac und Rossendale in der englischen Grafschaft Lancashire. Anfang Mai 2022 ist eine weitere dazugekommen: Akmene in Litauen. Urkunden sind ausgetauscht und ein offizieller Partnerschaftsvertrag unterschrieben. Daneben gibt es befreundete Städte in China, Albanien und Kolumbien sowie Kontakte zu sieben Nachbargemeinden in den Niederlanden.
“Eine digitale Städtepartnerschaft hat durchaus Vorteile, aber wenn man das noch zehn Jahre machen müsste, würde einiges auf der Strecke bleiben.”
Petra Taubach
Bocholt zeichnet eine Besonderheit aus: Der Stadtteil Suderwick grenzt unmittelbar an die niederländische Ortschaft Dinxperlo, beide teilen sich sogar einen Straßenzug. Auf der einen Seite stehen die deutschen Häuser und auf der anderen die niederländischen. Das klingt ungewöhnlich, ist im Alltag jedoch kein großes Thema. Kurios geht es nur manchmal zu. So wie im vergangenen Jahr, als es plötzlich eine Anordnung der Niederlande gab, dass niemand mehr die niederländische Grenze ungeimpft ungetestet überschreiten darf. „Damit war es für die Menschen in Suderwick nicht mehr möglich, auf das eigene Grundstück zu kommen, ohne das Gesetz zu verletzen. Denn die Straße ist niederländisch und der Bürgersteig deutsch. Das musste sofort besprochen und eine Lösung gefunden werden. Online geht der deutsch-niederländische Austausch viel schneller“, erzählt Petra Taubach. Auch in der kommunalen Verwaltung haben sich digitale Formate im europäischen Dialog also durchgesetzt.
Schon vor einigen Jahren hat sich in dem Grenzgebiet ein Bürgerforum gegründet, das sich vor der Pandemie auch regelmäßig getroffen hat. Nun tagt es online. Durch die Videokonferenzen hat sich die Zahl derjenigen, die sich in dem Forum grenzüberschreitend engagieren, nahezu verdoppelt. Petra Taubach: „Man muss nicht mehr irgendwo hinfahren, sondern kann sich dazuschalten und seine Ideen einbringen. Das ist ein niederschwelliges Angebot und eröffnet mehr Menschen den Zugang. Für die Älteren sind Videokonferenzen inzwischen auch kein Neuland mehr und Jugendliche können am Computer mal etwas anderes machen“, so die Partnerschaftsbeauftragte. Auch für die Verwaltung bringt es manchen Vorteil, um Informationen auszutauschen und zu hören, was sich die Menschen diesseits und jenseits der Grenze wünschen. „Das setzt natürlich die Bereitschaft voraus, dass sich die Fachbereiche, so heißen bei uns die Ämter, auch mal abends mit an den virtuellen Tisch setzen“, sagt Petra Taubach.
Städtepartnerschaften galten einst als „größte Friedensbewegung der Welt“. Viele stammen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als es darum ging, sich wieder miteinander zu versöhnen. Engländer, Amerikaner, Kanadier und Belgier luden Deutsche in ihre Heimatländer ein, um ihnen vor Ort zu zeigen, wie eine demokratische Verwaltung funktioniert. Aus diesen Besuchen entstanden später die Städtepartnerschaften. In Bocholt gaben britische Soldaten den Anstoß dazu, sich eine Partnergemeinde in England zu suchen. 1952 fand der erste offizielle Jugendaustausch zwischen Bocholt und Rossendale statt. Doch erst 1980 wurde die offizielle Urkunde unterzeichnet und die Städtepartnerschaft besiegelt. „Dass es so lange dauert, ist in Bocholt üblich. Vielleicht liegt es daran, dass die ‘sturen Westfalen’ so lange überlegen“, sagt Petra Taubach – selbst gebürtige Westfälin – und lacht. Tatsächlich ist der Grund ein anderer: Die Stadt möchte über eine Generation prüfen, ob die Partnerschaften über die vielen Jahre weiterhin funktionieren.
Bundesweit gibt es etwa 6.000 Partnerschaften zwischen deutschen und europäischen Kommunen. Vereine sind wichtige Akteure, die sie mit Leben füllen. Auch in Bocholt beteiligen sich Sport-, Musik- und Kulturvereine am Austausch mit den Partnerstädten. „Da höre ich inzwischen immer wieder: ‚Ich mache schon so viele digitale Meetings auf der Arbeit, da möchte ich keine mehr in der Freizeit haben‘. Eine digitale Städtepartnerschaft hat durchaus Vorteile, aber wenn man das noch zehn Jahre machen müsste, würde einiges auf der Strecke bleiben. Ohne persönliche Begegnungen funktioniert es nicht“, resümiert Petra Taubach.