Mit den autonomen Shuttles sind Fahrgäste in Oberfranken unterwegs. © IN-VISIONEN.de
Seit 2021 und bis in den Herbst 2024 haben die oberfränkischen Kommunen Kronach, Hof, Rehau und Bad Steben sechs fahrerlose Kleinbusse in einem Modellprojekt auf die Straße geschickt. Die beteiligten Firmen und Forschungsstellen nutzten den Betrieb auch, um wertvolle Erkenntnisse für neue Mobilitätskonzepte in kleinen Städten und ländlichen Regionen zu gewinnen: Die autonomen Shuttles testeten dabei nicht nur die technischen Möglichkeiten, autonomes Fahren sicher zu machen, sondern kümmerten sich auch um Aspekte wie Fahrgastbetreuung und Barrierefreiheit oder Fahrplangestaltung.
Wir haben Panagiotis Loukaridis, Projektmanager Automatisiertes Fahren bei der beteiligten Nuts One GmbH, nach den Projektergebnissen gefragt: Können die Shuttles helfen, den ländlichen Raum mit einem leistungsfähigen, finanzierbaren, inklusiven und klimafreundlichen ÖPNV zu versorgen?
Sie haben als Projektmanager die Shuttle Modellregion Oberfranken begleitet. Worum ging es?
Das jetzt zu Ende gegangene Modellprojekt war bereits die zweite Phase der autonom fahrenden Shuttle-Busse in Oberfranken. Wir haben uns noch einmal genauer angeschaut, was passiert, wenn zukünftig wirklich kein Operator mehr im Shuttle sitzt. Denn der überwacht nicht nur den Bus, sondern kümmert sich auch um vieles andere. Wir wollten Antworten für spezifische Situationen finden: Wer bedient die Rampe, wenn jemand mit einem großen Kinderwagen oder einem Rollstuhl zusteigen will? Wie funktioniert das Ticketing? Wie garantieren wir die Sicherheit im Inneren des Shuttles? Wie gehen wir mit falschparkenden Autos oder anderen Hindernissen auf der Strecke um?
In dieser zweiten Phase lag also der Hauptfokus auf Aufgaben, die ein:e Fahrer:in normalerweise zusätzlich erledigt – für die wir bei den autonomen Shuttles aber andere Lösungen finden müssen.
Ein besonderer Aspekt kam noch dazu: Wir wollten sehen, wie wir es Personen mit eingeschränkter Mobilität – also einer Geh- oder Sehbehinderung – möglichst einfach machen, die Shuttles zu nutzen.
Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Nehmen wir einmal das Beispiel, dass es ein Hindernis auf der Strecke gibt. Das autonom fahrende Shuttle soll in dieser Situation nicht einfach um das Hindernis herumfahren, weil das riskant sein könnte. Eine Lösung für die Zukunft könnte sein, dass wir jemanden in der Leitwarte haben, der oder die mehrere Shuttles überwacht, sich die Situation anschaut und dem Shuttle dann Anweisungen gibt. Um zu prüfen, wie das geht, haben wir die prototypische Leitwarte aus Phase 1 weiterentwickelt.
Auch bei der Überwachung von Innenraum und Straße sind wir ein Stück weitergekommen. Beide müssen aus Datenschutzgründen anonymisiert erfolgen, man sollte also keine Personen oder Autokennzeichen erkennen können. Im Modellprojekt konnten wir zeigen, dass das gut funktioniert: Einer unserer Partner, die Hochschule Hof, hat zum Beispiel mit Kameras Bewegungsmuster im Innenraum
aufgenommen und analysiert. Zu erkennen ist dann, ob Personen sitzen oder stehen, ob die Bewegungen schnell oder langsam sind – und letztlich auch, ob an der Situation irgendetwas aggressiv wirkt.
Warum haben sich die Kommunen und Landkreise ursprünglich entschieden, in einem Modellprojekt fahrerlose Busse auszuprobieren?
In vielen ländlicheren Regionen ist der ÖPNV wenig attraktiv und unwirtschaftlich. Außerdem fehlt Personal, um Busse regelmäßig fahren zu lassen. Dazu kommt, dass die Ortszentren häufig stark durch den motorisierten Individualverkehr belastet sind. Das trifft auch auf die beteiligten Kommunen in Oberfranken zu – wobei jede Kommune ihre eigenen Herausforderungen für den Shuttle-Betrieb bereithielt. Hof ist beispielsweise eine sehr lebendige Stadt. Dort ist eines der Hauptprobleme die große Anzahl an Autos und die vollen Straßen in der Innenstadt. Wir mussten genau schauen, wo die Shuttles fahren können, um den Verkehr nicht zu behindern. In Kronach ging es dagegen für die Shuttles darum, die Steigung zur Festung zu bewältigen und sich in den engen Gassen der Altstadt zurechtzufinden. Am Kurort Bad Steben wollten wir möglichst viele Kurkliniken an das Ortszentrum anbinden: Das ist eine Herausforderung, weil die Strecke so für die elektronisch betriebenen Shuttles recht lang wird. Eine Möglichkeit, hier mehr auf die Bedürfnisse der Fahrgäste einzugehen, ist der On-Demand-Betrieb.
Was ist der Vorteil, wenn autonome Shuttles mit einem On-Demand-Betrieb gekoppelt werden?
Das Shuttle nur zu rufen, wenn ich es brauche, reduziert die Leerfahrten. In vielen ländlicheren Regionen werden solche On-Demand-Modelle auch bereits im ÖPNV oder Ergänzungsangeboten praktiziert, weil das den Betrieb effizienter und kostengünstiger macht. Auch unsere Ergebnisse zeigen, dass On-Demand-Lösungen besser funktionieren als Linien mit festen Haltestellen und Abfahrtszeiten. Dann kann ich zum Beispiel aus dem Zug heraus den Bus oder ein Shuttle buchen – und mein Anschluss steht parat, wenn ich aus dem Zug aussteige.
Sie haben vorhin von Herausforderungen im ÖPNV und den Verkehrsbelastungen in den Orten gesprochen. Konnten die Shuttles in der Modellregion diese Probleme lösen?
Allein durch die Shuttles ändert sich daran nicht viel – aber sie können Teil der Lösung sein, wenn es in Deutschland und Europa eine Entwicklung gibt, die von der Konzentration auf den Individualverkehr wegführt. Die Menschen brauchen gerade auf dem Land eine gute Alternative zum eigenen Auto, wenn man sie zum Umstieg bewegen will.
In unserem Modellversuch haben wir aber eine andere Frage gelöst: Wie steigern wir die Akzeptanz der Shuttles? Neuen Technologien und Angeboten begegnen die Leute ja erst einmal mit Skepsis. Gerade die Autofahrer:innen haben die Shuttles auch tatsächlich anfänglich als Verkehrsbehinderung gesehen. In Befragungen und Workshops konnten wir aber feststellen, dass sich die Meinung der Bürger:innen im Laufe der Zeit stark verbessert. Das galt vor allem dann, wenn sie sich an den Anblick der Shuttles in den Straßen gewöhnt hatten oder selbst einmal mitgefahren waren. Irgendwann gehört so ein autonomes Shuttle zum Stadtbild und wird als Bereicherung wahrgenommen – das war eine gute Erkenntnis.
Wer hat die Shuttles in den Kommunen aktiv genutzt?
Zu den ersten Fahrgästen gehören meist technikaffine Menschen, die neue Technologien spannend finden und sich das unbedingt anschauen wollen. Kindergarten oder Rentner:innengruppen haben sich ebenfalls schnell angemeldet, um das neue Fahrzeug auszuprobieren. Je mehr Berührungspunkte es gab, desto mehr Menschen haben gemerkt, wie nützlich die Shuttles sind. Ein besonderes Nutzer:innensegment gab es dabei nicht, von jung bis alt war wirklich alles dabei. Gerade Ältere haben vielleicht auch gemerkt, dass sie das Shuttle nehmen können, wenn sie nicht mehr ganz so gut zu Fuß sind.
Wie funktioniert das System der fahrerlosen Shuttles technisch?
In den einzelnen Orten suchen wir erst einmal eine Strecke aus, die zu dem passt, was die Kommunen erreichen möchten: In Kronach war das zum Beispiel ein Angebot für Tourist:innen, die zur Festung hochwollen. Dann kommt der Shuttle-Hersteller und misst diese Strecke ein: Dabei fährt er sie ab und nimmt die Umgebung mit Laser-Sensoren auf. Anschließend entsteht aus diesen Messungen eine 3D-Karte, mit der sich das Shuttle in der realen Welt zurechtfindet: Es misst dafür Abstände auf dem Weg und vergleicht sie mit der Karte. Gleichzeitig nutzen die Fahrzeuge ein Differential-GPS, das durch Bodenstationen noch genauer wird als das GPS, das wir von unseren Handys kennen. Als Sicherheitspuffer haben wir an den Shuttles weitere Laser-Sensoren verbaut, die mögliche Hindernisse oder Gefahren erkennen – so kann das Fahrzeug rechtzeitig einen Bremsvorgang einleiten.
Wie erleben Fahrgäste die autonomen Shuttles?
Im Modellprojekt waren alle Fahrten umsonst: Ein Ticket musste sich also niemand kaufen. Trotzdem haben wir uns darüber Gedanken gemacht, wie der Fahrscheinkauf ablaufen könnte. Die einfachste Lösung wäre vermutlich, die Shuttles in den lokalen ÖPNV einzugliedern und den Ticketkauf darüber zu realisieren. Die meisten Verkehrsverbünde haben dafür zahlreiche Möglichkeiten, von der App bis zum Automaten.
Obwohl ja, wie vorhin erwähnt, der Trend in ländlichen Regionen eher zu On-Demand-Systemen geht, haben wir im Modellprojekt auch mit Fahrplänen oder zumindest festen Stationen gearbeitet. In Kronach haben wir die Fahrplananzeige digital gelöst und eine Art Tablet an den Haltestellen verbaut: Dort konnte man sehen, wo sich das Shuttle gerade befindet. Das kam bei den Fahrgästen sehr gut an.
Das Modellprojekt ist beendet und die fahrerlosen Shuttles fahren aktuell in der Region nicht. Wie geht es weiter?
Es geht jetzt darum, die gewonnenen Erkenntnisse weiterzutragen. Wir hoffen, dass zukünftige Shuttle-Generationen darauf aufbauen können und vor allem die technischen Entwicklungen nutzen werden. Auch Kommunen und Verkehrsverbünde können sicher viel aus dem Modellprojekt lernen.
In der Forschung stoßen Projekte wie unseres immer auf viel Interesse. Wir erhalten regelmäßig Anfragen von Master- oder Bachelor-Studierenden, die sich mit dem Thema beschäftigen. Aber auch Kommunen wollen sich über die Shuttles informieren und erfahren, wie sich so ein Modell umsetzen und finanzieren lässt. Die sehen in den Shuttles oft einen Use Case, der eventuell gut in ihre Gemeinde passen würde – zum Beispiel auf Strecken, auf denen sich ein Linienbus nicht lohnt. Das Modellprojekt hat einfach eine gewisse Strahlkraft, auch für mich. Es hat nicht nur sehr viel Spaß gemacht, sich mit der Technik zu beschäftigen. Mir hat auch gefallen, damit an einer wirklich sinnvollen Entwicklung mitzuarbeiten und vielleicht einen kleinen Anstoß Richtung Mobilitätswende zu geben.
Hinter dem bereits abgeschlossenen Projekt Shuttle Modellregion Oberfranken stand ein Projektkonsortium aus zehn Partnern: die Kommunen Stadt Hof, Landkreis Hof und Landkreis Kronach, die Industriepartner Valeo Schalter und Sensoren GmbH, REHAU Automotive SE & Co. KG, DB Regio Bus und Brose Fahrzeugteile SE & Co. KG sowie die Hochschulpartner Hochschule Coburg, Hochschule Hof und die Technische Universität Chemnitz. Das Projektmanagement übernahm die Nuts One GmbH.
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