Jacob Nolte, Lehrer für Deutsch und Politik, gestaltet die Digitalisierung an seiner Schule von Anfang an mit © privat
Mit dem Digitalpakt Schule treiben Bund und Länder seit 2019 die Digitalisierung an Schulen voran. Bereits zehn Jahre zuvor hat sich das Gymnasium am Silberkamp in Peine, eine Kleinstadt in Niedersachsen, auf den Weg in die digitale Zukunft gemacht. Was der Auslöser war und wie das Ganze eine Erfolgsgeschichte wurde, erzählt Jacob Nolte im Interview. Er ist Lehrer für Deutsch und Politik und begleitet als Systemadministrator die Digitalisierung von Anfang an mit.
Herr Nolte: Das Gymnasium am Silberkamp hat bereits 2009 begonnen, eine digitale Infrastruktur aufzubauen. Wie kam es dazu?
Die Entwicklung hängt eng mit der damaligen Schulleiterin Ulrike Bock zusammen, die 2009 an die Schule kam. Sie hat einen Schwerpunkt ihrer Arbeit darin gesehen, die Schule digital auszustatten. Los ging es mit digitalen Tafeln. Im ersten Schritt waren es drei oder vier, Jahr für Jahr kamen weitere hinzu. Seit 2014 oder 2015 stehen in allen Klassenräumen digitale Tafeln, sie haben die klassischen Kreidetafeln komplett ersetzt.
Warum gerade digitale Tafeln?
Die waren damals Thema auf allen Bildungsmessen, und alle haben sich einen schnellen Mehrwert davon versprochen. Tatsächlich haben wir schnell festgestellt, dass es nicht damit getan ist, digitale Tafeln in die Klassenzimmer zu stellen.
Worin lag die Herausforderung?
Zu jeder digitalen Tafel gehört ein Rechner. Und wenn man irgendwann mehr als 50 Rechner in der Schule hat, braucht man ein System dahinter, das es ermöglicht, dass die Rechner gewartet werden. Es muss sichergestellt sein, dass die Geräte mit Updates versehen werden, dass die notwenigen Programme darauf sind und vor allem, dass die Rechner funktionieren. Hierfür die technische Infrastruktur zu schaffen, war meine Aufgabe.
Das besondere an unserer Schule ist, dass wir uns bei der technischen Infrastruktur sehr stark an Unternehmen orientieren. Und zwar deshalb, weil eine Schule mit inzwischen rund 700 W-LAN-Nutzern, mehr als 200 Computern und digitalen Tafeln in allen Klassen- und Fachräumen IT-technisch gesehen nichts anderes ist als ein mittelständisches Unternehmen. Konkret bedeutet das, dass wir nur Komponenten nutzen, die auch in Unternehmen zum Einsatz kommen. Unser Netzwerk basiert daher nicht auf einem Schulserver, sondern auf dem Microsoft-Windows-Server. Der Vorteil: Wir verfügen über alle gängigen Schnittstellen und können neue Dienste und Anwendungen, zum Beispiel Lernmangementsysteme, Office-Applikationen und neue Kopierer, problemlos in unser Schulnetzwerk integrieren.
Ein anderer Aspekt, wo wir uns ebenfalls an Unternehmensstandards orientieren, ist die Ausfallsicherheit. Wir haben alle Systeme mindestens zweifach abgesichert. Das ist enorm wichtig für uns. Wenn bei uns an einem Tag das Internet nicht geht, die E-Mails nicht zugestellt werden, oder man auf Dateien nicht zugreifen kann, ist das ein riesiges Problem. Das sind Dinge, die den Unterricht mittlerweile massiv beeinträchtigen würden.
Lassen Sie uns noch einmal ein paar Schritt zurückgehen. Das, was Sie gerade beschrieben haben, war ja nicht von heute auf morgen plötzlich da …
Ganz genau. Das war ein schrittweiser Prozess. Digitale Tafeln, Rechner, Server und Software: Wir haben all diese Dinge nach und nach angeschafft. Wichtig war, dass wir die Kolleginnen und Kollegen von Anfang intensiv geschult haben, wie sie die Technik in den Alltag integrieren. In den ersten Jahren ging es darum, wie ich eine digitale Tafel bediene, ab 2013 um die Möglichkeiten unserer schuleigenen Kommunikationsplattform. Heute geht es bei den Fortbildungen vor allem um medien-didaktische Fragen, darum, wie ich mobile Endgeräte im Unterreicht sinnvoll einsetze. Viele Schulungen führen wir intern mit eigenen Lehrkräften durch. Das hat den Vorteil, dass man die jeweiligen Kollegen auch im Schulalltag jederzeit ansprechen kann und die Hemmschwelle dafür niedrig ist.
Für all das braucht eine Schule doch jede Menge Geld. Woher kam das?
Die ersten Gelder 2009 kamen aus dem Konjunkturpaket der Bundesregierung, das die Folgen der Finanzmarktkrise mildern sollte. Darüber hinaus waren das überwiegend Mittel, die wir ganz regulär und regelmäßig beim Schulträger beantragt haben. Daher: Wenn Schulen heute digital schlecht aufgestellt sind, ist das aus meiner Sicht nicht unbedingt ein finanzielles Problem. Es ist vielmehr die Frage, was für einen Stellenwert Digitalisierung hat. Wo andere Schulen in Spielgeräte oder Anderes investiert haben, haben wir schon vor Jahren angefangen, Geld für Server und Software auszugegeben.
In der Tat sind die Schulen in puncto Digitalisierung auf einem sehr unterschiedlichen Stand. Mit dem Digitalpakt Schule haben sich Bundesregierung und Länder das Ziel gesetzt, den flächendeckenden Aufbau einer zeitgemäßen digitalen Bildungsinfrastruktur zu unterstützen. Was hat der Digitalpakt dem Gymnasium am Silberkamp gebracht?
Die Mittelvergabe erfolgt über den Schulträger. Unser hat sich dafür entschieden, als Erstes in allen Schulen eine Grundausstattung zu schaffen. Da wir bereits gut aufgestellt sind, haben wir den in Niedersachsen festgelegten Sockelbetrag von 30.000 Euro erhalten. Davon haben wir digitale Tafeln der neuesten Generation gekauft.
Es gab immer wieder den Vorwurf, das Geld aus dem Digitalpakt käme bei den Schulen nicht an, der Aufwand für Schulen sei groß. Wie sehen Sie das?
Um vom Digitalpakt zu profitieren, müssen Schulen ein technisch-pädagogisches Konzept erstellen, den sogenannten Medienentwicklungsplan. Das ist in der Tat mit Aufwand verbunden, aber das schaffen Schulen. Die Kompetenzen dafür sind in der Regel vorhanden, zudem gab es Mustervorlagen. Die Herausforderung liegt meiner Meinung nach bei den Schulträgern, also bei den Gemeinden, Städten oder Landkreisen. Ihnen melden die Schulen ihren Bedarf, die Schulträger beantragen die Mittel beim Land und geben das Geld aus. Und immer, wenn die öffentliche Hand Dinge beschafft, sind wir schnell bei Ausschreibungs- und Vergabeverfahren. Wenn Sie mich fragen, ist das die größte Hürde. Das ist ein bürokratischer Aufwand, den die Schulträger kaum bewältigen können. Sie bräuchten dafür viel mehr Personal. Bis die Ausschreibung erfolgt ist, der Auftrag vergeben und die Dinge geliefert sind, vergeht eine unfassbar lange Zeit.
Bei der Digitalisierung geht es nicht nur um Technik. Worauf kommt es an, damit die Digitalisierung an Schulen eine Erfolgsgeschichte wird?
Tatsächlich eine ganze Menge. Aber auch etwas, was man nicht über Nacht erzwingen kann. Ich denke, als erstes müssen wir uns von der Idee verabschieden, dass Lehrer alles wissen. Ein Beispiel: Ich selbst habe jahrelang Schülern beigebracht, wie sie mit Movie Maker einen Film schneiden können. Ich habe vier bis fünf Stunden dafür verwendet, ihnen nur dieses eine Programm zu erklären. Das ergibt heute keinen Sinn mehr. Die Kinder bringen unterschiedliche Erfahrungen mit, kennen unterschiedliche Apps. Die eine kann Videos auf hochprofessionellem Niveau schneiden, der andere macht es zum ersten Mal. Ich kann als Lehrer nicht jede App, jedes Programm kennen, das die Schüler kennen und nutzen. Da müssen wir offen sein. Wenn wir uns auf ein Programm beschränken würden, das jeder Lehrer aus dem Effeff beherrscht, würden wir die Kreativität und die Möglichkeiten der Kinder beschneiden und die Kompetenzen einschränken. Wir Lehrer begeben uns damit auch ein bisschen in die Rolle des Lernenden. Ich finde das nicht schlimm, aber es ist anders als früher, als die Lehrenden die inhaltliche und methodische Hoheit im Unterricht hatten. Heute ist es wichtig, dass wir grundsätzlich wissen, was möglich ist.
Der zweite Punkt, auf den es bei der Digitalisierung ankommt, hat mit Zeit zu tun. Wenn Sie erwarten, dass der Unterricht von einem Tag auf den anderes völlig anders wird, werden Sie nicht erfolgreich sein. An unserer Schule orientieren wir uns am sogenannten SAMR-Modell. Die Buchstaben stehen für Substitution – Ersetzung, Augmentation – Erweiterung, Modification – Änderung, Redefinition – Neubelegung. Das Modell besagt, dass die Integration von Lerntechnologien ein schrittweiser Prozess ist. Starten können Sie nur mit den ersten beiden Schritten. Das bedeutet, dass ein Tablet erst einmal Vorhandenes ersetzt. Wenn Kollegen in eine Tabletklassen reingehen, die es an unserer Schule ab Klasse 11 gibt, dann sage ich immer: „Du musst nichts anders machen. Das Einzige, was passiert ist, dass die Schüler digital mitarbeiten und zum Beispiel statt ins Heft aufs Tablet schreiben.“ Das ist für den Lehrer ganz entscheidend. Er kann seinen Unterricht zunächst standardmäßig weitermachen. Dann kann er einen Schritt weitergehen und die Schüler zum Beispiel etwas googlen oder einer Collage erstellen lassen – und damit einzelne Dinge erweitern. Erst danach kommt man tatsächlich an den Punkt, dass sich Dinge signifikant verändern. Schülerinnen und Schüler erarbeiten sich dann etwa ein Thema mithilfe digitaler Medien und bereiten das Wissen in einem Video für die anderen auf. Wenn man so vorgeht, nimmt man unglaublich viel Druck von den Beteiligten und schafft gleichzeitig viel Akzeptanz.
Was sind die größten Chancen eines digitalen Unterrichts?
Ich glaube, wir können dadurch noch viel mehr Kreativität und Begeisterung für den Unterricht vermitteln. Wir können methodenoffener arbeiten und so auch die Motivation steigern. Außerdem halte ich den digitalen Unterricht für notwendig, um die Schülerinnen und Schüler auf Studium und Beruf vorzubereiten. Wir als Schule müssen die Grundlagen für die digitale Arbeitswelt schaffen. Schülerinnen und Schüler sollen Erfahrungen sammeln. Dabei können sie auch durchaus zu dem Schluss kommen: Digitales Arbeiten ist nicht meins. Das ist okay.
Digital versus analog: Löst das eine das andere ab? Geht beides Hand in Hand? Wie sieht die ideale Entwicklung für Sie aus?
Ich glaube tatsächlich, dass erfolgreiches digitales Arbeiten voraussetzt, dass wir Grundlagen im analogen Arbeiten haben. Bevor Kinder zum Beispiel nicht vernünftig mit der Hand auf Papier schreiben können, macht digitales Arbeiten aus meiner Sicht keinen Sinn. Was nicht heißt, dass man nicht auch mal eine Stunde mit einem Klassensatz Tablets arbeiten kann und die Jüngeren so an digitales Arbeiten heranführt.
Welche Tipps haben Sie für Schulen, die bei der Digitalisierung erst am Anfang stehen?
Das meiste geht aus dem hervor, worüber wir gesprochen haben: aufgeschlossen sein, sich immer wieder in die Rolle des Lernenden begeben, schrittweise rangehen. Nochmal: Digitalisierung an Schulen heißt nicht, dass wir von einem Tag auf den anderen alles neu machen.
Was wünschen Sie sich für den geplanten Digitalpakt 2.0?
Vor allem weniger Bürokratie. Es dauert bisher einfach viel zu lange, bis Dinge umgesetzt werden.
Jacob Nolte ist gerade mal 33 Jahre alt, kennt das Gymnasium am Silberkamp aber schon mehr als sein halbes Leben. Er begann seine dortige Laufbahn mit 13 Jahren in der 7. Klasse, 2009 machte er am Silberkampgymnasium Abitur. Auch im Anschluss, während seines Lehramts-Studiums in den Fächern Deutsch und Politik und dem darauffolgenden Referendariat, blieb er der Schule als IT-Mitarbeiter erhalten und kümmerte sich um den Aufbau der IT-Infrastruktur.
Seit 2019 ist Nolte nun Lehrer am Silberkamp und betreut die Hardware- und Netzwerkarchitektur. Unterstützung bekommt er dabei von Schulassistenten und Mitarbeitern, die den sogenannten First-Level-Support übernimmt. Die Gruppe ist gefragt, wenn sich am Drucker das Papier staut, der Toner leer ist oder bei einer Tastatur die Batterie ausgetauscht werden muss. Laut Nolte sind 80 bis 90 Prozent der IT-Probleme solche First-Level-Geschichten. Darüber hinaus wirken immer auch Schülerinnen und Schüler an der IT mit. Während der Corona-Lockdowns stand das Team für Schulungen und Fragen zum Umgang mit Microsoft Teams bereit. In Arbeitsgemeinschaften wird Wissen rund um Serverinfrastrukturen und Großnetzwerke an interessierte Schülerinnen und Schüler vermittelt, das normalerweise Bestandteil von Ausbildung oder Studium wäre.