Video-Sprechstunden und andere digitale Anwendungen im Gesundheitswesen stoßen auf breite Akzeptanz. ©KI-generiert
Die Pflicht zum E-Rezept, aber auch Video-Sprechstunden und die bevorstehende Einführung der elektronischen Patientenakte in Deutschland treiben die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran. Wie eine aktuelle Umfrage des Digitalverbands Bitkom jetzt ergeben hat, stoßen diese Maßnahmen auf eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung: 89 Prozent sind grundsätzlich der Meinung, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen richtig ist, und 71 Prozent wünschen sich sogar eine schnellere Umsetzung. Zudem berichten 83 Prozent, dass ihre Ärztinnen und Ärzte der Digitalisierung positiv gegenüberstehen. Dennoch gibt es auch Bedenken: Fast die Hälfte der Befragten fühlt sich von der Entwicklung überfordert – ältere Menschen häufiger als jüngere. Die Bitkom-Vizepräsidentin Christina Raab bewertete die Ergebnisse daher so: „Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat die Digitalisierung des Gesundheitssystems drastisch beschleunigt und das Ressort auf Digitalkurs gebracht. Die Menschen in Deutschland finden diese Entwicklung richtig, stoßen im alltäglichen Umgang mit digitalen Technologien und Anwendungen im Gesundheitsbereich aber noch auf Hürden. Ob elektronische Patientenakte, E-Rezept oder KI in der Medizin: Wir müssen die Kompetenzen zum Umgang mit digitalen Gesundheitstechnologien und -Anwendungen stärken.“
Um diese digitalen Tools und Verfahren geht es:
Das E-Rezept (Digitales Bürgernetz berichtete) gibt es als Technologie schon länger. Doch erst seit Anfang des Jahres sind Arztpraxen verpflichtet, gesetzlich Versicherten ihre Verschreibungen elektronisch auszustellen. Das neue E-Rezept können sich Patientinnen und Patienten zwar in Ausnahmefällen noch ausdrucken lassen. Bequemer ist es aber, das Rezept mit der elektronischen Gesundheitskarte in der Apotheke einzulösen oder die E-Rezept-App zu nutzen. Über 330 Millionen E-Rezepte wurden laut Telematikinfrastruktur-Dashboard seit der flächendeckenden Pflicht eingelöst; die E-Rezept-App haben bislang über zwei Millionen Nutzerinnen und Nutzer heruntergeladen.
Die Bitkom-Umfrage bestätigt diese Erfolgszahlen: 98 Prozent der Befragten kennen das E-Rezept, 77 Prozent haben bereits mindestens eine elektronische Verschreibung eingelöst und waren mehrheitlich mit dem „reibungslosen“ Service zufrieden.
Obwohl auch das E-Rezept theoretisch noch als Ausdruck zu haben ist, verliert diese Möglichkeit zunehmend an Attraktivität: Laut Bitkom-Studie nutzen 54 Prozent der Menschen ihre Gesundheitskarte, um das Rezept in der Apotheke einzulösen. 20 Prozent haben bereits zur App gewechselt, die weitere Features wie die Rezeptverwaltung bereithält. Nur noch 14 Prozent wollen die ausgedruckte Version – das sind 10 Prozentpunkte weniger als noch im Jahr zuvor.
„Die Einführung neuer Prozesse – dazu zählt auch die unmittelbare Signatur und Freigabe der digitalen Rezepte in den Praxen – ist mittlerweile aber auf einem sehr guten Weg“, sagt Bitkom-Vizepräsidentin Raab.
Per Smartphone-App Schritte zählen, Gewicht und Ernährung tracken oder online angebotene Fitness-Übungen nachturnen: Solche Anwendungen sind mittlerweile im Alltag angekommen. „Viele Menschen ziehen einen großen Nutzen aus Apps, mit denen sie ihr Bewegungspensum oder ihre Ernährungsgewohnheiten verfolgen und steuern können“, so Bitkom-Vizepräsidentin Raab. „In Verbindung mit Sportuhren, Smartwatches oder Fitnessarmbändern können oft viele weitere wertvolle Daten gewonnen werden, um die eigene Gesundheit zu verbessern.“ Ganze 69 Prozent der von Bitkom Befragten nutzen mindestens eine E-Health-App. Sport und Bewegung sind dabei deutlich beliebter als das Tracking von Körperdaten oder Apps, die bei bestimmten Krankheiten, der psychischen Gesundheit oder der Medikamenteneinnahme unterstützen.
Dabei können spezifische digitale Gesundheitsanwendungen, die es auf Rezept gibt, eine große Hilfe für Betroffene sein. Ein Beispiel ist die App NichtraucherHelden, die Menschen beim Rauchausstieg begleitet. „Wie in der klassischen Therapie läuft das in erster Linie über Verhaltensänderungen“, erläutert Andy Bosch, Geschäftsführer von NichtraucherHelden. „Man weiß aus vielen Studien, dass ein wesentlicher Erfolgsfaktor darin besteht, die Kopplung zwischen bestimmten Lebenssituationen und Rauchen aufzulösen und neue Verbindungen zu schaffen, Alternativen zu suchen und Rückfallgefahren vorherzusehen. Dabei können wir Menschen viel besser und intensiver begleiten als ein Arzt, der im Praxisalltag gar nicht die Zeit dazu hat, den Patienten so lange zu unterstützen.“
Auch der letztjährige Gewinner beim Wettbewerb Digitale Orte in der Kategorie Gesundheit nutzt das Smartphone, um Patientinnen und Patienten anzusprechen. Konkret richtet sich DECIDE mit einer personalisierten Bewegungstherapie an Menschen, die von Krebs oder Depression betroffen sind – und abseits der Städte Vor-Ort-Angebote kaum wahrnehmen können. „In Rheinland-Pfalz gibt es einige ländliche Regionen mit wenigen Haus- und Fachärzten, um die sich auch die Landesregierung verstärkt kümmert“, erläutert Dr. Torsten Panholzer, kommissarischer Leiter der Abteilung Medizinische Informatik an der Universitätsklinik Mainz. „Mit den Projektergebnissen soll der Kontakt zu räumlich entfernten Patienten, aber auch zwischen den Playern im Gesundheitswesen verbessert werden. Wir können die Therapiefindung und Therapiebegleitung aus der Ferne unterstützen. Mit Handgelenksensoren und einer Smartphone-App werden Daten übertragen, aber auch Informationen bereitgestellt und Rückmeldungen gegeben.“
Ein weiteres Ergebnis der Bitkom-Studie: Video-Sprechstunden sind inzwischen Teil des Versorgungsalltags. Bereits 27 Prozent der Befragten haben sich mindestens einmal per Video-Call beraten oder sogar untersuchen lassen. Seit 2017 werden die dabei entstehenden Kosten von der Krankenkasse übernommen und die Nutzungszahlen steigen kontinuierlich an. Die Patientinnen und Patienten fühlen sich laut Bitkom-Umfrage gut aufgehoben: Bei 84 Prozent verlief die Video-Sprechstunde technisch reibungslos. 81 Prozent bestätigten, der Arzt oder die Ärztin habe sich ausreichend Zeit genommen.
„In Zeiten abnehmender Praxisdichte und einer alternden Bevölkerung werden Video-Sprechstunden unverzichtbar, um weniger mobile Menschen oder solche in ländlichen Regionen weiter optimal zu versorgen“, sagt Bitkom-Vizepräsidentin Christina Raab.
Ein Finalistenprojekt im letztjährigen Wettbewerb Digitale Orte setzt ebenfalls auf die ärztliche Fernbehandlung: Der BARMER Teledoktor bietet eine App an, die ortsunabhängige Behandlungen ermöglicht. Patientinnen und Patienten können so schnell alltägliche Beschwerden abklären, aber auch einen digitalen Haut-Check durchführen lassen oder eine telemedizinische Familiensprechstunde in Anspruch nehmen.
„Wir wollen einfache Lösungen in einem komplexen Themenfeld finden. Das ist uns hier gelungen. Unsere Versicherten sind glücklich darüber, digital mit Ärztinnen und Ärzten in Kontakt zu treten. Das geht schnell, ist qualitätsgesichert und lässt sich gut in den Alltag integrieren“, berichtet Florian Forstnig, der bei der BARMER für Digitale Versorgung/Prävention zuständig ist. Geplant ist, den BARMER Teledoktor auszuweiten und technisch zu verbessern. „Beispielsweise möchten wir die digitale Versorgung in Verbindung mit der elektronischen Patientenakte ermöglichen“, sagt Forstnig.
Ähnlich wie das E-Rezept gibt es die elektronische Patientenakte ePA, die medizinische Daten und Befunde speichern kann, bereits seit einigen Jahren. Eine breitere Nutzung wird allerdings erst für das kommende Jahr erwartet: Dann erhalten alle gesetzlich Versicherten automatisch eine ePA. Wer das nicht will, muss explizit widersprechen.
Die Bitkom-Studie zeigt, dass bereits vor dieser flächendeckenden Einführung die Zustimmung zu dem System steigt. Ganze 71 Prozent möchten ihre elektronische Patientenakte künftig nutzen, am liebsten per App. Nur 8 Prozent lehnen die ePA entschieden ab. Als Gründe für die Zustimmung werden am häufigsten angegeben, dass allen behandelnden Ärztinnen und Ärzten Gesundheitsdaten zugänglich gemacht werden können. Die Befragten versprechen sich auch mehr Sicherheit, wenn Medikationsplan und Krankheitsgeschichte einsehbar sind – Behandlungsfehler ließen sich so vermeiden.
Ist Deutschland mit E-Rezept, ePA, Videosprechstunden und patientenorientierten Gesundheits-Apps also auf dem richtigen Weg?
Bitkom-Vizepräsidentin Christina Raab ordnet die Ergebnisse ihrer Untersuchung so ein: „Die jahrelange Stagnation im Gesundheitswesen ist überwunden. Wenn Deutschland die Potenziale der Digitalisierung noch besser nutzt, kann unser Gesundheitssystem trotz aller Herausforderungen leistungsfähig und bezahlbar bleiben.“
Das E-Rezept und die elektronische Patientenakte werden über die Telematikinfrastruktur der Gematik betrieben. Diese Nationale Agentur für Digitale Medizin kooperiert international mit den „National Digital Health Agencies“ anderer Länder. Innerhalb Deutschlands stellt sie die Infrastruktur für digitale Anwendungen im Gesundheitswesen.
Zu den bekanntesten Anwendungen gehören das E-Rezept und die elektronische Patientenakte inklusive Gesundheits-ID. Die Agentur versorgt jedoch auch Apotheken, Arztpraxen und Gesundheitsämter mit digitalen Plattformen und Tools, darunter DEMIS, das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz, oder ISiK, die Informationstechnischen Systeme in Krankenhäusern.