Herr Brasch, was bedeutet Digitalisierung in der Verwaltung für Sie?
Digitalisierung bedeutet für mich aus kommunaler Sicht erstmal einen Mehrwert für alle Bürgerinnen und Bürger. Ich finde es gut, dass man die öffentliche Hand per Onlinezugangsgesetz verpflichtet, mehr und neue digitale Angebote zu schaffen. Gerade kleinere Kommunen, und da schließe ich unsere Stadt nicht aus, haben jedoch noch Aufholbedarf: Das fängt beim kleinsten Verwaltungsvorgang im Bürgeramt an und lässt am Ende auch den Bürgermeister nicht aus, zum Beispiel in der Art und Weise, wie er mit seinen Bürgerinnen und Bürgern kommuniziert.
Sie haben mit der Rathaus-WG während der Pandemie ein digitales Austauschformat gestartet. Was hatte es damit auf sich?
Die Rathaus-WG haben sich Kollegen aus dem osthessischen Raum ausgedacht – wir haben die Idee übernommen. Der Gedanke während des ersten Corona-Lockdowns war, ein unkompliziertes Format zur Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern aufzubauen. Lebendig wurde es, weil sich viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Main-Kinzig-Kreis beteiligt haben. Wir sind samstags gemeinsam auf Facebook live gegangen, haben uns über die Anpassungen der Corona-Verordnungen, aber auch über kommunale Themen wie Kinderbetreuung ausgetauscht. Ab und an haben wir Gäste eingeladen, wie Vertreter der Kirche, unseren Landrat oder die Gesundheitsdezernentin. Es macht einen Unterschied, ob etwas in einer Pressekonferenz verkündet wird oder ob der eigene Bürgermeister im Plausch mit seinen Kollegen über aktuelle Themen spricht.
„Social-Media-Arbeit als Bürgermeister kostet viel Zeit und Kapazitäten. Ganz ohne Social Media kann man das Amt aber auch nicht ausführen.“
Dominik Brasch
Gibt es Pläne für eine Fortsetzung?
Aktuell stellt uns der Krieg in der Ukraine und dessen Folgen vor Herausforderungen. Wir haben wegen des Bedarfs hier vor Ort einen Aufruf für Unterstützung gestartet. Aus diesem Anlass würde ich die Rathaus-WG gerne wieder aufleben lassen. Wobei ich über die Zeit festgestellt habe, dass es schwieriger wurde, die Kollegen dazu zu motivieren. Gerade im ersten Lockdown, als alle Veranstaltungen ausfielen, hatten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister an den Wochenenden einfach mehr Zeit.
Wie sah die Resonanz bei den Bürgerinnen und Bürgern aus?
Das Diskussionsklima war überraschend positiv, insbesondere im Vergleich zum Ton, der sonst häufig in Kommentarspalten auf Social Media herrscht. Die Bürgerinnen und Bürger schienen froh, ihre Fragen platzieren zu können. Soweit wir konnten, sind wir auf alle eingegangen und haben uns über die Möglichkeit sehr gefreut, mit unserer Bürgerschaft – trotz Lockdown – in Kontakt treten zu können.
Sie sind auch auf Instagram sehr aktiv. Wie gehen Sie mit dem teils harschen Ton in den Kommentarspalten um?
Direkt zu Beginn meiner Jungbürgermeisterkarriere, 2018, ist hier ein junger Mann bei einer Messerstecherei ums Leben gekommen. Das hat medial große Wellen geschlagen. In den Kommentarspalten auf Facebook begannen noch in der Tatnacht die Spekulationen über die Täter. Die Kommentare waren teilweise sehr offen rassistisch. Da habe ich mich mehr aus dem Bauch heraus in die Diskussion eingeklinkt und Anfeindungen, teilweise auch Drohungen, erlebt. Nicht aus Bad Soden-Salmünster, sondern oft von anonymen Profilen, die mir vorwarfen, als Gutmensch eine rosarote Brille zu tragen. Dabei habe ich als Polizeibeamter viele Jahre die Schattenseiten unserer Gesellschaft gesehen. Erst im Nachgang habe ich dann von Initiativen wie HateAid erfahren, auch der politische Fokus auf das Thema Hass und Hetze gegen Politikerinnen und Politiker kam gefühlt erst in den letzten Jahren auf. Als ich tiefer in Diskussionen eingestiegen bin, habe ich damals allerdings auch gemerkt, dass meine Kommentare auf fruchtbaren Boden fallen und ich ein Stück weit für Einsicht sorgen kann. Man sollte die Diskussion also nicht scheuen und versuchen, den Menschen weiterhin zuzuhören.
Wie machen Sie das heute?
Ich kann natürlich nicht auf jeden Kommentar eingehen. Social-Media-Arbeit als Bürgermeister kostet viel Zeit und Kapazitäten. Ganz ohne Social Media kann man das Amt aber auch nicht ausführen. Ich habe ein kleines Social-Media-Team in meiner Verwaltung, das mich unterstützt und eigene Ideen einbringt. Bei einer kleinen Kommune macht man viel selbst und probiert sich aus. Bislang sind wir damit sehr gut gefahren.
Sie sind unter anderem im Netzwerk der Jungen Bürgermeister*innen und bei der Kleinstadtakademie aktiv. Welchen Stellenwert hat die Vernetzung für Sie?
Ich bin ein leidenschaftlicher Netzwerker. Das Netzwerk Junger Bürgermeister*innen haben wir 2019 mit dem Ziel gegründet, die junge Sicht auf die Kommunalpolitik zu stärken und, ganz klar, um uns zu vernetzen. Wir müssen das Rad nicht immer neu erfinden, wir können über Ländergrenzen hinweg schauen, was die Kolleginnen und Kollegen anders oder besser machen. Das ist sehr gewinnbringend. Die Kleinstadtakademie geht in eine ähnliche Richtung. Sie soll Kommunen deutschlandweit vernetzen, wir sind insbesondere mit Kommunen aus den neuen Bundesländern im Austausch. Themen wie das Sterben der Innenstädte beschäftigen die Orte in ganz Deutschland. Das Lesen von Fachartikeln kann den Austausch nicht ersetzen.
Ein anderes Thema, das viele Kommunen betrifft, ist die Digitalisierung der Verwaltung. Wie setzen Sie die Modernisierung um?
Wir waren schon vor der Pandemie in der Verwaltung digital gut aufgestellt, sodass wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt ins Homeoffice schicken konnten. Das betrifft aber vor allem die Systeme, mit denen wir arbeiten, und die Schnittstellen, über die wir vernetzt sind. Der nächste Schritt ist die Digitalisierung der Prozesse für die Bürgerinnen und Bürger. In Hessen gibt es ein zentrales Programm, über das die Kommunen ihren Service erweitern können. Gerade stellen wir die Website komplett neu auf. Wir integrieren erste Bausteine, damit für Verwaltungsleistungen eben nicht mehr ein Rathausgang nötig ist, sondern dass dieser Service auch über die Webseite abgewickelt werden kann.
Wer ist bei Ihnen in Bad Soden-Salmünster dafür zuständig?
Andere Kommunen haben ganze Stäbe und Abteilungen. Hier läuft das über das Hauptamt. Aber ich habe für den Bereich EDV nur einen Mitarbeiter. Der soll dann die kompletten Verwaltungsdienstleistungen digitalisieren und den technischen Support machen? Das funktioniert nicht. Deshalb haben wir uns mit Nachbarkommunen um eine Förderung beworben. Wir wollen die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes mit sechs Kommunen gemeinsam stemmen.
Sie haben den Krieg in der Ukraine angesprochen und dass in Bad Soden-Salmünster Spenden gesammelt und Schlafplätze gesucht werden. Nutzen Sie digitale Mittel, um das zu organisieren?
Die zentrale Koordination läuft über den Kreis. Wir vernetzen aber alle beteiligten Akteure ganz unkompliziert digital. Im Vergleich: 2014/2015, als viele Geflüchtete zu uns in die Region gekommen sind, gab es einen Arbeitskreis. Das waren recht starre Sitzungen, zu denen eingeladen wurde, mit relativ vielen Personen. Gerade jetzt, in dieser Phase, mit der hohen Dynamik des Kriegs in der Ukraine und der Erwartung, dass viele Menschen zu uns kommen, sehe ich die Vorteile der Digitalisierung. Wenn ich jetzt eine Einladung rausschicke, machen wir heute Vormittag noch schnell eine kurze Videokonferenz und legen fest, wer was macht. Da sind wir pragmatischer und schneller geworden.
ZUR PERSON
Dominik Brasch ist in Bad Soden-Salmünster aufgewachsen. 2018 wurde er zum Bürgermeister der Kurstadt gewählt. Er ist studierter Diplom-Verwaltungswirt und hat mehrere Jahre als Polizist gearbeitet. Als Bürgermeister engagiert er sich unter anderem im Netzwerk Junger Bürgermeister*innen und im Forum Kleinstadtakademie.