Von zusätzlichen Angeboten wie gut ausgestatteten Besprechungsräumen profitieren alle Nutzerinnen und Nutzer. Auch abseits der Großstädte sitzen Angestellte etablierter Unternehmen oft neben Kreativarbeitern und Start-ups, so dass eine besondere Atmosphäre entsteht. © CoworkingLand/Stadtlohn
„Ein Coworking-Space ist viel mehr als nur ein ‚shared office‘, also geteilte Infrastruktur“, sagt Tobias Kremkau. Wir sprachen mit ihm über New Work zwischen Land- und Stadtleben, warum es nicht immer der eigene Schreibtisch sein muss und welche Vorteile das flexible Arbeiten für Kommunen hat.
Herr Kremkau, Coworking wird oft als Arbeits- und Lebensform urbaner Kreativer und digitaler Nomaden wahrgenommen. Sie bringen mit der CoWorkLand eG die Entwicklung in den ländlichen Raum. Passt so ein städtisches Konzept zum Landleben?
Wenn wir uns die Geschichte das Coworkings ansehen, war das am Anfang ein urbanes Phänomen. Die Pioniere hatten eines gemeinsam: Ihre Arbeit fand am Laptop statt, die meisten kamen aus der Dienstleistungsbranche. Inzwischen ist das Publikum breiter und vielfältiger geworden, arbeitet zum Teil in Bereichen, die man spontan nicht mit New Work assoziieren würde. Aber in vielen Berufen gibt es einzelne Aufgaben und Arbeiten, die sich gut in einem Coworking-Space erledigen lassen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir Handwerkerinnen und Handwerker: Ihre eigentliche Arbeit findet natürlich in der Werkstatt oder auf der Baustelle statt. Aber ihre Dokumentationen, die Rechnungen und Buchhaltung wollen oder müssen sie nicht zwingend im eigenen Büro erledigen.
Es ist ein Trend, dass junge hochqualifizierte Leute aus Metropolen wie Berlin oder Hamburg die Nähe zur Natur suchen und aufs Land ziehen. Sind diese „Exilstädter“ Treiber des flexiblen Arbeitens in der Fläche?
Die Coworking-Idee ist inzwischen auch in Regionen angekommen, über die nicht alle paar Tage im Feuilleton oder in der Zeitgeistpresse zu lesen ist. Zielgruppe dort sind oft Pendlerinnen und Pendler sowie Selbstständige. Außerdem ziehen auch Städterinnen und Städter in solche Regionen. Anders als im Umland von Hamburg oder Berlin sind das oft Rückkehrer, also Menschen, die zur Ausbildung weggezogen sind und in einer bestimmten Lebensphase beschließen, zurück in die alte Heimat zu gehen.
Also gibt es auch fernab der Großstadt-Büros Nachfrage nach Coworking-Spaces?
Der Kern von Coworking ist es, Angebote für bestimmte Bedürfnisse zu schaffen. Und die haben natürlich auch Menschen in ländlichen Räumen: Manche können etwa sehr gut im Homeoffice arbeiten, andere fühlen sich dort isoliert. Auch technische Möglichkeiten spielen eine Rolle, nicht jeder hat privat Zugang zu wirklich schnellem Internet. Die Herausforderung ist oft, den Menschen zu helfen, ihre Bedürfnisse zu erkennen und gleichzeitig zu zeigen, dass es Lösungen gibt. Wenn ich für Bedarfsanalysen mit Leuten spreche, dann frage ich, wie sie sich die Arbeitswelt und den Arbeitsplatz der Zukunft vorstellen, etwa im Jahr 2035 oder 2040. Viele nennen dann Lösungen für ihre eigenen heutigen Bedürfnisse – Lösungen, die es heute schon gibt. Das fasziniert mich immer wieder.
Können Sie das konkretisieren?
Viele Menschen auf dem Land haben sehr lange Arbeitswege, nur um in einem Büro an einem Computer zu sitzen. Sie können sich vorstellen, das auch von zu Hause aus zu machen, aber sie sehen die Nachteile. Homeoffice bedeutet oft den Zwang, unter wenig optimalen Bedingungen am Küchentisch oder im familiären Alltagstrubel zu arbeiten. Sie kommen dann gar nicht darauf, dass es einen anderen Ort dafür geben könnte – ein Coworking-Space etwa oder der Lesesaal der örtlichen Bibliothek. Ein weiteres Beispiel: Oft wünschen Leute sich Orte, an denen sie mit Gleichgesinnten zusammenkommen können. Und das passiert in einem Coworking-Space fast automatisch, denn es ist ja viel mehr als nur ein „shared office“, also geteilte Infrastruktur wie Räume, Möbel und ein schneller Internetanschluss.
„Gerade im Umland der Metropolen haben Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker den Wunsch, dass ihre Städte und Gemeinden keine reinen Schlafstädte sind, in denen nur am Wochenende richtig Leben ist.“
Tobias Kremkau
Reicht die Nachfrage nach Coworking in Dörfern und Kleinstädten denn aus?
Meine Erfahrung ist: Die Nachfrage wird immer unterschätzt. Besser gesagt, es gibt oft keine Nachfrage, weil die Menschen gar nicht wissen, dass sie suchen und was sie suchen. Das ist unternehmerisch gesehen eine Crux: Erst ein Angebot schafft einen neuen Wissensstand, aus dem dann Nachfrage entsteht. Und das kann eine Weile dauern. Für Neugründungen ist es in der Regel existenziell, die ersten zwei Jahre zu überstehen.
Ab wie vielen Personen lohnt sich denn so ein ländlicher Standort?
Da müssen wir erst einmal klären, was mit „lohnen“ gemeint ist. Wenn wir Sekundäreffekte und die sozialen Aspekte des Coworking betrachten, lohnt es sich im Grunde schon, wenn zwei Menschen nicht mehr allein zu Hause arbeiten müssen. Ich kenne durchaus Spaces mit drei oder vier Arbeitsplätzen – die lohnen sich natürlich nicht im ökonomischen Sinne. Die ganz kleinen Standorte sind entweder so konzipiert, dass sie sich selbst tragen oder als eine Art Service, als gemeinnützige Dienstleistung angeboten werden, etwa von Vereinen, Kirchengemeinden oder Selbstständigen, die sich gemeinsam ihr eigenes Arbeitsumfeld schaffen. Kommerzielle Angebote können aber schon in Orten ab 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern funktionieren, sehr gut funktionieren sie in Kleinstädten mit 20.000 oder mehr Menschen.
Und was ist mit den Kommunen selbst? Könnte Coworking unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Daseinsvorsorge gesehen werden?
Diese Sichtweise wird durchaus vertreten. Und einige Kommunen sind da recht aktiv. Wir sehen seit zwei, drei Jahren eine steigende Anzahl kommunaler Coworking-Spaces, die eben nicht die Zielrichtung haben, profitabel zu sein, sondern nur sich selbst tragen müssen. Dieser Trend wirkt sich auch auf andere Bereiche aus: Gerade im Umland der Metropolen haben Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker den Wunsch, dass ihre Städte und Gemeinden keine reinen Schlafstädte sind, in denen nur am Wochenende richtig Leben ist. Man möchte, dass die Menschen auch in der Woche vor Ort sind, Zeit haben, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Bei solchen Spaces geht es also nicht darum, ein trendiges Angebot zu machen, sondern es geht um Lebensqualität.
Neues aus dem Digitalen Bürgernetz auf Instagram.
Und diese Erkenntnis hat sich überall herumgesprochen?
Jein. Einerseits ja, weil wir mittlerweile in ganz Deutschland Kommunen sehen, die aktiv sind, Spaces schaffen oder zumindest fördern. Aber natürlich hängt das in der Regel mit den handelnden Personen zusammen – da gibt es halt auch Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die nein sagen. Und dann sehe ich durchaus auch Kommunen, die wollen, aber nicht können, denen das Anfangsinvestment schwerfällt. Wieder andere sehen einen möglichen Bedarf, wissen aber nicht so recht, ob und wie sie das angehen sollen. Die können sich kompetent beraten lassen, zum Beispiel bei meinem Arbeitgeber, der CoWorkLand eG, oder bei der German Coworking Federation. Oder sie gehen auf einen Space zu, schauen sich den an und stellen ihre Fragen. Die Leute in unserem Bereich sind sehr offen und teilen gern ihr Wissen und ihre Erfahrungen.
Wie sieht es mit dem Alltag der Verwaltungen selbst aus: Wird Coworking aktiv genutzt und gelebt?
Auch in der Verwaltung wird das zunehmend ein Thema, allerdings vorwiegend auf Ebene der Länder. So haben wir von CoWorkLand eine Vereinbarung mit dem Land Schleswig-Holstein getroffen, dass die Landesbediensteten auch von Coworking-Spaces aus mobil arbeiten dürfen. In den Kommunen versuchen einzelne engagierte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, diese Form der Arbeit und Zusammenarbeit auch in der eigenen Verwaltung einzuführen. Das geschieht in der Regel von oben nach unten und stößt nicht nur auf Begeisterung bei den Mitarbeitenden. Aber es gibt auch positive Beispiele: In Wiesenburg/Mark in Brandenburg hat die Gemeinde im ehemaligen Bahnhofsgebäude einen Coworking-Space eingerichtet und eine eigene Stelle für Coworking geschaffen, die dort auch angesiedelt ist. Und in Gettorf in Schleswig-Holstein hat die Kommune über ihre Wirtschaftsförderung einen Coworking-Standort aufgebaut, in dem die Ansprechpartnerin regelmäßig arbeitet und für Fragen und Gespräche zur Verfügung steht. Es geht also.
Zur Person
Tobias Kremkau ist Referent für Beratung und Entwicklung bei der CoWorkLand eG. Davor war er mehr als fünf Jahre lang Head of Coworking des Berliner Coworking-Pioniers St. Oberholz. Kremkau denkt, schreibt, spricht und berät zu den Themen Coworking und Neue Arbeit. Unter anderem ist er auch einer der Gastgeber des Podcasts Digitale Provinz. Kremkau ist einer der Mitgründer der German Coworking Federation (GCF). 2019 wurde er von der ZEIT zu den 100 wichtigsten jungen Ostdeutschen gezählt.