Die Projektträger bei Ministerin Wiebke Osigus. Von links nach rechts: Sven Theobald (Fraunhofer IESE), Wiebke Osigus (Regionalministerin), Carola Croll, Svenja Mink, Elias Kreuzinger (Stiftung Digitale Chancen) © Nds. Regionalministerium
Die Digitalen Dörfer haben ihren Ausgangspunkt im Jahr 2015 in Rheinland-Pfalz. Herzstück des Projekts ist eine digitale Plattform, die dörfliche Gemeinschaften untereinander und mit der Verwaltung vernetzt und Teilhabemöglichkeiten verbessert. Von 2021 bis 2022 haben die Projektträger der Digitalen Dörfer Niedersachsen (Fraunhofer IESE und Stiftung Digitale Chancen) die Plattform zunächst in einer Reallaborsituation in vier Landkreisen Südniedersachsens etabliert, seit Juli 2022 können alle Kommunen im Land die Plattform nutzen. Die Stiftung Digitale Chancen begleitet das Projekt in Niedersachsen und baut unter anderem ein landesweites Netzwerk auf. Was genau dahinter steckt und wie man die Menschen vor Ort für die Digitalisierung begeistert, erzählt Carola Croll von der Stiftung Digitale Chancen im Interview.
Frau Croll, zunächst zum Herzstück der Digitalen Dörfer, zur digitalen Plattform. Können Sie kurz erklären, was es damit auf sich hat?
Das mache ich gern. Im Zentrum der Plattform steht der DorfFunk, eine App. Darüber können Dorfbewohner:innen einfach nur plauschen, aber auch Hilfe anbieten und Gesuche einstellen. Außerdem können sich Menschen über den DorfFunk in offenen oder geschlossenen Gruppen zusammenfinden – zum Beispiel um ein Osterfeuer zu organisieren. Mit dem Tool LösBar können sie mit der Gemeindeverwaltung in Kontakt treten, um Vorschläge oder Wünsche einzubringen oder auch Mängel zu melden. Zudem gibt es noch die Möglichkeit, bestehende Websites per Plug-In an die App anzuschließen oder mit der landesweiten Plattform LandNews zu arbeiten und so etwa Termine und Neuigkeiten der Kommune in den DorfFunk einzuspielen. Wir sagen immer: Die App ist dein Dorf in der Hosentasche.
Welche Ziele und Chancen verbinden sich mit dem Projekt?
Die
Plattform ermöglicht Teilhabe und Austausch. So können wir lokale
Gemeinschaften durch Digitalisierung stärken. Neuzugezogene bekommen einen
direkten Zugang zum Dorfleben, wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, aber
wenig Zeit hat, kann sich punktuell dort einbringen, wo gerade Hilfe nötig ist.
All das steigert die Lebensqualität der Menschen vor Ort und sichert die
Daseinsvorsorge. Und indem wir digitale Teilhabemöglichkeiten schaffen und stärken,
können wir der digitalen Spaltung zwischen Stadt und Land entgegenwirken. Letztendlich
geht es bei den Digitalen Dörfern um resiliente, vernetzte und engagierte
Kommunen.
Können Sie an einem Beispiel beschreiben, wie Kommunen konkret profitieren?
Wir leben in einer Zeit multipler Krisen. Da ist eine App sicherlich nicht das wichtigste, was eine Kommune benötigt. Auf der anderen Seite haben wir gesehen, wie wertvoll der DorfFunk sein kann. Es gab Kommunen, die darüber unheimlich schnell Hilfstransporte für die Ukraine und Wohnungseinrichtung für Flüchtlinge organisiert haben. Und inzwischen gibt es Ukrainer:innen, die selbst den DorfFunk nutzen und so Teil der Gemeinde werden. Das Beispiel zeigt: Wenn man ein digitales Tool erst einmal etabliert hat – was sicherlich Zeit kostet –, kann man Dinge anders und effizienter angehen. Darauf beziehen wir uns, wenn wir von resilienten, vernetzten, engagierten Gemeinden sprechen.
Wie begleiten Sie die Projektausweitung auf ganz Niedersachsen?
Ein wichtiges Element ist das landesweite Netzwerk, das wir etablieren. Ziel ist es, über möglichst viele Kanäle die Kommunen zu erreichen. Dafür arbeiten wir mit lokalen, regionalen und landesweit aktiven Parter:innen zusammen, die den Menschen vor Ort vertraut sind. Das können ganz unterschiedliche sein. Zum Netzwerk gehören zum Beispiel die kommunalen Spitzenverbände, Organisationen wie die Landfrauen Niedersachsen, aber auch die vier Ämter für regionale Landesentwicklung oder Forschungseinrichtungen und Modellkommunen.
Bürgermeister:innen haben viel zu tun. Wie viel Arbeit kommt auf sie zu, wenn sie Teil des Projekts Digitale Dörfer Niedersachsen werden wollen?
Im Prinzip reicht es, wenn sie einmal ihr Okay geben, dann können sie eine Projektverantwortliche oder einen Projektverantwortlichen als Ansprechpartner:in benennen. Manche Gemeinden haben zum Beispiel Digitalisierungsbeauftragte. Ansprechparter:in können aber auch ganz andere Personen sein – zum Beispiel jemand von der Feuerwehr, die oder der sich mit Digitalisierung gut auskennt.
Eine digitale Plattform lebt davon, dass Menschen sie nutzen. Wie kommt der DorfFunk bei den Bürger:innen an?
Das ist unterschiedlich und hängt vor allem mit den Personen vor Ort zusammen. Beteiligungs- und Engagementmöglichkeiten im digitalen Dorf sind vielfältig und niedrigschwellig. Unter anderem entwickeln wir ein Schulungskonzept, mit dem wir – oder unsere Netzwerkpartner:innen – Menschen, die sich engagieren wollen, zu Digitalen Dorfheld:innen ausbilden. Diese geben ihr Wissen an die Menschen vor Ort weiter und unterstützen sie dabei, aktive Mitglieder im digitalen Dorf zu werden. Wir wollen über die Digitalen Dorfheld:innen vor allem jene erreichen, die noch Berührungsängste gegenüber digitalen Tools haben. Jede und jeder kann digitale Dorfheldin oder digitaler Dorfheld werden – unabhängig vom Wissen, das sie oder er mitbringt. Unser Schulungskonzept ist entsprechend flexibel aufgebaut.
Noch einmal zurück zu dem landesweiten Netzwerk, das Sie derzeit in Niedersachsen aufbauen. Können Sie sich vorstellen, das bundesweit auszurollen?
Das ist eine spannende Frage. Allerdings gibt es die Digitalen Dörfer bereits in anderen Bundesländern, vor allem in Rheinland-Pfalz. Das Ganze ist ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt, es wird konstant evaluiert und weiterentwickelt. Von allen Entwicklungen und Ergebnissen profitieren jeweils alle Digitalen Dörfer. So kann verhindert werden, dass jeder immer wieder bei null anfängt oder Strukturen parallel aufgebaut werden. Die Projektlaufzeit für die Digitalen Dörfer Niedersachsen läuft bis Mitte 2025. Im letzten Dreivierteljahr werden wir Handlungsempfehlungen und Praxisleitfäden entwickeln. Diese stehen dann den Kommunen in Niedersachsen zur Verfügung, die noch nicht Digitales Dorf sind, aber auch anderen Bundesländern. Das ist letztendlich auch das Schöne an solchen Projekten: Wir haben die Chance, etwas zu schaffen, das von vielen Seiten verstetigt wird.
Das Projekt Digitale Dörfer Niedersachsen wird als Kooperationsprojekt der Stiftung Digitale Chancen mit dem Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) durchgeführt und vom Niedersächsischen Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung gefördert. Die Digitale Dörfer Plattform besteht aus verschiedenen Angeboten und Konzepten, die die Chancen einer ganzheitlichen Betrachtungsweise des Themas der Digitalisierung im Sinne eines digitalen Ökosystems aufzeigen.
Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es bereits Gemeinden, die beim Projekt Digitale Dörfer mitmachen – zum Beispiel im Kreis Lippe. Mehr dazu lesen Sie in unserem Blog-Beitrag.