Susanne Schreiber, Baubürgermeisterin der Stadt Herrenberg ©Stadt Herrenberg
Das Thema digitaler Zwilling wird in Deutschland vor allem von großen Städten vorangetrieben: zum Beispiel von München, Hamburg und Leipzig. Das vergleichsweise kleine Herrenberg hat aber auch bereits Erfahrungen mit dem digitalen Zwilling gesammelt. Wie kommt das, Frau Schreiber?
Wir pflegen seit Jahren einen engen Austausch mit Hochschulen, zum Beispiel aus Nürtingen oder Stuttgart, und haben verschiedene Projekte mit Studierenden durchgeführt. Vor einigen Jahren kam das Höchstleistungsrechenzentrum HLRS der Universität Stuttgart mit der Idee des „digitalen Zwillings“ auf uns zu – da sind wir aufgesprungen. 2019 haben wir das Projekt beim Neujahrsempfang zum ersten Mal der Bürgerschaft vorgestellt. Schon da kam unser Vorhaben extrem gut an.
Erste Anwendungen konnten wir umsetzen, dann hat uns die Corona-Pandemie leider ausgebremst. Dieses Jahr haben wir die Arbeit wieder aufgenommen und sind kontinuierlich am Datenaustausch mit dem HLRS mit der Zielsetzung, peu à peu eigenständiger zu werden.
Was verspricht sich die Stadt Herrenberg von Digital-Twin-Anwendungen?
Hinter dem digitalen Zwilling steht die steigende Bedeutung von Datensammlungen und Datenmanagement für unsere Planung. Für mich als Baubürgermeisterin ist aus fachlicher Sicht ganz klar: Der digitale Zwilling enthält einen unglaublichen Schatz an Daten und schafft neue Möglichkeiten, übrigens nicht nur in der Stadtplanung. Für die Stabsstelle Klima und Umwelt ist es wichtig, dass wir unsere Klimadaten einspeisen. An anderer Stelle geht es um Effizienz – beispielsweise, wenn wir Baumbepflanzungen mit Sensoren ausstatten und dann wissen, wo wir wie häufig gießen müssen.
Von all diesen Datensätzen in der Plattform und ihren Anwendungsmöglichkeiten bekämen die Bürgerinnen und Bürger aber nichts mit, wenn wir nicht einen weiteren Vorteil des digitalen Zwillings nutzen würden: Auf Grundlage der Daten entstehen 3-D-Animationen, in denen man sich mit VR-Brille fortbewegen kann. Das ist ein Erlebnis und passt sehr gut zur „Mitmachstadt“ Herrenberg – so nennen wir uns wegen unserer vielen Beteiligungsprojekte.
Im Zusammenhang mit dem digitalen Zwilling können wir Bürgerinnen und Bürger dafür sensibilisieren, dass Daten einen großen Wert haben und sinnvoll eingesetzt werden können.
Gibt es spezielle Themenbereiche im digitalen Zwilling, die besonders für kleinere Städte und Kommunen spannend sind?
Eigentlich nicht. Wir haben dieselben Themen wie die großen Städte, nur auf einer kleineren Gemarkungsfläche: Klimawandel, Verkehr, Innenentwicklung, Neubauprojekte – in all diesen Bereichen können wir von den Datensammlungen und -simulationen profitieren. Deswegen denke ich: Es gibt langfristig keinen Grund, warum kleine Kommunen nicht auch einen digitalen Zwilling haben sollten.
Welche Digital-Twin-Projekte haben Sie und Ihre Kolleg:innen bereits umgesetzt?
Direkt vor den Toren unserer Altstadt gibt es das Seeländer Areal. Wir haben diesen wichtigen neuen Stadtbaustein in den digitalen Zwilling eingepflegt, um der Bürgerschaft zu zeigen, wie er sich in Bezug auf unsere denkmalgeschützte Altstadt einfügt bzw. diese weiterentwickelt. Wir sehen es als große Chance, dass man sich durch den digitalen Zwilling hindurchbewegen kann. So wird die zukünftige Gestaltung auch für Menschen erlebbar, die sich nicht den ganzen Tag mit Planung und Stadtentwicklung auseinandersetzen. Sie bekommen ein Gefühl dafür, ob die Maßstäblichkeit stimmt. Und auf dieser Grundlage lässt sich dann diskutieren.
Das nächste Thema setzen wir mit dem Karlsruher Institut für Technologie KIT um. Wir statten Radfahrerinnen und Radfahrer mit Sensoren aus und sammeln Daten, um herauszufinden, wie sicher sie sich in unserer Stadt fühlen. So können wir Brennpunkte besser einschätzen und etwas verändern.
Was kann der digitale Zwilling in Zukunft für Herrenberg tun?
Eine ganze Menge: Wir möchten mit dem Landesdenkmalamt ein Solarkataster für unsere denkmalgeschützte Altstadt entwickeln. So können wir zeigen, wo Photovoltaik umsetzbar ist und wie das auf den Dächern aussehen würde. Das ist eine gute Voraussetzung dafür, Lösungen finden, die mit dem Denkmalschutz vereinbar sind.
Sie sehen: Die Themen, die uns in Zusammenhang mit dem digital Twin beschäftigen, sind unabhängig von der Größe der Stadt oder dem Bundesland.
Das Projekt connectedurbantwins, in dem sich unter anderem München, Hamburg und Leipzig mit dem digitalen Zwilling beschäftigen, möchte DIN-Standards und ein Baukastensystem für Städte und Kommunen entwickeln.
Hat Ihnen so etwas bislang gefehlt und welche neuen Möglichkeiten könnten sich für Herrenberg und andere Kommunen daraus ergeben?
Wir haben das im Blick und sind sehr gespannt darauf, aber gefehlt hat es uns bislang nicht. Denn so engagiert wir beim digitalen Zwilling auch sind – als kleine Kommune haben wir nicht die Mittel, das Projekt schnell und umfassend voranzutreiben. Wir schauen uns also interessiert an, was die Großen machen und wie wir davon profitieren können.
Der digitale Zwilling gilt auch als eine Möglichkeit, mehr Bürgerbeteiligung und „Involvement“ zu erreichen. Hat das in Herrenberg funktioniert? Wie war das Feedback der Bürgerinnen und Bürger?
Die Reaktionen waren von Anfang an sehr positiv und diese gute Stimmung ist uns glücklicherweise auch über die Corona-Pause hinweg erhalten geblieben.
Im September haben wir den digitalen Zwilling auf dem Streetlivefestival erneut vorgestellt und mit VR-Brillen „Was wäre wenn?“-Szenarien erlebbar gemacht. Wie verändert sich die Innenstadt von Herrenberg mit Fahrradspuren? Welche Schäden entstehen durch Hochwasser? Solche Szenarien durchspielen zu können, ist einfach großartig!