In fünf Modellregionen hat die Initiative „Digitales Dorf Bayern“ in den vergangenen Jahren die Potenziale der Digitalisierung für den ländlichen Raum erprobt. © Technologie Campus Grafenau
Die ländlichen und alpinen Regionen Bayerns stehen vor besonderen Herausforderungen: der demografische Wandel ist unübersehbar, junge, gut ausgebildete Menschen wandern ab, viele öffentliche und private Dienstleistungen werden unrentabel, die technische und soziale Infrastruktur dünnt aus. Wie kann die Digitalisierung helfen, die alltäglichen Herausforderungen des Lebens auf dem Land zu meistern? Antworten darauf gibt die Initiative „Digitales Dorf Bayern“, zu der fünf Modellregionen gehören: In Nordbayern sind das das Obere Rodachtal und die Steinwald Allianz, im Süden der Bayerische Wald mit den Gemeinden Spiegelau und Frauenau, die Zukunftsregion Rupertiwinkel und die sogenannten Hörnerdörfer Balderschwang und Obermaiselstein. Zu den Initiator:innen der Initiative gehört Diane Ahrens, Professorin am Technologie Campus Grafenau der Technischen Hochschule Deggendorf. Mit ihrem Team, spezialisiert auf Digitalisierung und künstliche Intelligenz, begleitet sie die drei Modelldörfer im Süden Bayerns.
Frau Professorin Ahrens, lassen Sie uns kurz zurückblicken: Wie kam es, dass Sie und Ihr Team am Technologie Campus Grafenau zu Mitinitiator:innen der Initiative „Digitales Dorf Bayern“ wurden?
Dafür müssen wir zu den Anfängen des Technologie Campus im Jahr 2012 zurückkehren. Wir waren interimsweise in einer leerstehenden Volksschule zwischen zwei kleinen Kreisstädten untergebracht. Der Bus fuhr dort vielleicht zweimal am Tag vorbei. Für unsere Mitarbeiter war das ein Problem: Viele kamen aus dem Ausland, hatten hier keinen Führerschein. Wir haben also die Herausforderungen im ländlichen Raum hautnah erlebt, Fahrdienste organisiert und vieles mehr. So entstand der Gedanke, uns mit der Frage zu beschäftigen: Wie wollen wir in Zukunft auf dem Land leben und wie können wir das Land attraktiver machen? Kann die digitale Transformationen einen Beitrag dazu leisten? Davon ausgehend haben wir ein erstes digitales Zukunftsdorf konzipiert. Wir haben von Anfang an einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, der die verschiedenen Facetten des Lebens in den ländlichen Kommunen berücksichtigt: von Mobilität über medizinische Versorgung bis hin zu elektronischen Bürgerservices. 2016 hat die Bayerische Staatsregierung gesagt: Das fördern wir.
Ziel der Initiative „Digitales Dorf Bayern“ ist es, die alltäglichen Herausforderungen des Lebens auf dem Land mithilfe der Digitalisierung zu meistern. Wie können ländliche Regionen von der Digitalisierung profitieren?
Letztlich wollen wir es schaffen, mit einer guten digitalen Infrastruktur den Wegzug aufzuhalten. Das können wir nur erreichen, indem wir Arbeitsplätze auf dem Land belassen. Co-Working-Spaces oder Telearbeit sind dafür gute Konzepte. So kann man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den ländlichen Regionen halten und damit auch die Wertschöpfung. Es geht aber auch um neue Chancen: Mit einem guten Breitbandausbau bietet man zum Beispiel Start-ups Anreize, sich auf dem Land niederzulassen. Wenn die Bedingungen hier stimmen – wenn auch Mobilität und ärztliche Versorgung keine Probleme sind –, kann der ländliche Raum für viele eine interessante Alternative zu Städten sein, in denen Wohn- und Arbeitsraum immer teurer wird.
Vor einigen Jahren gab es eine Diskussion, ob die Digitalisierung bis zur letzten Milchkanne notwendig sei. Ich sage ganz klar: Ja, man braucht sie. Wenn wir zurückschauen, dann haben sich die großen Städte immer an Flüssen gebildet, Gewerbegebiete an guten Verkehrsknotenpunkten. Wenn wir das auf die Digitalisierung übertragen, heißt das: Dort, wo eine gute digitale Ausstattung vorhanden ist, wird sich künftig Gewerbe ansiedeln.
Das „Digitale Dorf“ soll eine Initiative von und mit den Bürgern vor Ort sein. Was bedeutet das konkret?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass nicht die Technik das Problem ist, sondern die Akzeptanz durch die Menschen. Die beste Technik nützt nichts, wenn sie nicht den Bedarf der Bürgerinnen und Bürger trifft. Deshalb ist ein enger Dialog mit ihnen extrem wichtig – und Lösungen, die leicht zugänglich sind.
Ein gutes Beispiel für eine bedarfsorientierte Lösung ist eine Anwendung, die wir für Balderschwang entwickelt haben, eine Region mit vielen Hotels und Pensionen, in denen viele Saisonarbeitskräfte im Einsatz sind. Diese haben eine Meldepflicht, das Prozedere war extrem umständlich und erklärungsbedürftig. Die von uns programmierte Anwendung ermöglicht es den Saisonarbeitern nun, die Formulare digital in ihrer Landessprache auszufüllen und zu versenden. So konnten wir den Aufwand für die Personalverantwortlichen in den Hotels und für die Gemeindemitarbeiter erheblich reduzieren.
Was braucht es darüber hinaus, dass die digitale Transformation eine Erfolgsgeschichte wird?
Digitalisierung macht sich nicht von alleine, sie braucht ein Gesicht – und das ist der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin, die immer wieder voranschreitet und sagt: Wir machen das jetzt, wir wollen digital werden. Zusätzlich muss es jemanden geben, der sich im Alltag um alles kümmert: Inhalte in Apps und Portale einpflegt, die Anwendungen bekannt macht, damit sie von den Menschen auch angenommen werden. Im Idealfall richten Kommunen dafür eine extra Stelle ein.
Ein entscheidender Punkt ist zudem, dass wir den Menschen Zeit geben und nicht zu früh aufgeben. Oft bedeutet das, dass wir zunächst zweigleisig fahren: analog und digital. Ein Beispiel ist der DorfBUS Spiegelau, ein zielgruppen- und altersgerechtes Mobilitätsangebot mit wohn- bzw. zielortnahen Haltestellen. Er wird häufig von Seniorinnen und Senioren genutzt. Deshalb ist es wichtig, dass der Bus nicht nur über die DorfBUS-App gebucht werden kann, sondern zum Beispiel auch per Telefon. Unsere Erfahrung ist, dass die Akzeptanz für digitale Lösungen langsam, aber stetig wächst.
Apropos Seniorinnen und Senioren: Wie kann man die älteren Menschen bei der digitalen Transformation mitnehmen?
Wir haben zum Beispiel Anlaufstellen an gut erreichbaren Orten geschaffen und dort Seniorenschulungen durchgeführt. Wir haben festgestellt, dass existierende Angebote ungeeignet sind. Ein Word-Kurs über 20 Wochen interessiert ältere Menschen nicht. Deshalb haben wir zeitlich begrenzte und sehr anwenderorientierte Angebote entwickelt, zum Beispiel zu Messenger-Diensten oder Online-Banking. Aus unserem Angebot hat sich schließlich ein Seniorenstammtisch entwickelt, bei dem sich die älteren Menschen gegenseitig helfen. So eine Verstetigung ist enorm wichtig. Grundsätzlich kann man sagen, dass das Interesse seitens der Senioren groß ist – das Gefühl abgehängt zu werden allerdings auch. Hinzu kommt die Angst, im Netz betrogen zu werden oder etwas falsch zu machen. Wenn Sie das aufgreifen, sind die Menschen sehr dankbar.
Die Förderung für die letzten Projekte läuft Ende 2023 aus. Was passiert dann?
Im Idealfall gehen von uns entwickelte Anwendungen in eine dauerhafte Nutzung über, teilweise ist das schon geschehen. Zu Beginn haben wir zum Beispiel für Grundschulen eine sehr niederschwellige App entwickelt, weil Lehrerinnen und Lehrer noch gar keine Erfahrung mit digitalen Tools hatten. Als sie sich daran gewöhnt und ihre digitalen Kompetenzen weiterentwickelt hatten, haben wir unsere App eingestellt und in ein mittlerweile am Markt etabliertes Angebot überführt. Uns ging es nie ausschließlich um die Entwicklung neuer, toller Anwendungen. Davon gibt es inzwischen genug, aber wir müssen sie konsequenter in die Fläche bringen. Deshalb verstehen wir es als unsere Aufgabe, Entwicklungen anzustoßen, den Kommunen zu zeigen, wie sie digitaler werden können und ihnen zu vermitteln, was der Mehrwert der Digitalisierung ist.
Wie können andere Kommunen von den Erfahrungen und Erkenntnissen profitieren?
Wir haben zum Beispiel ein Buch herausgebracht, in dem wir unsere Best Practices und Handlungsempfehlungen dargestellt haben. Oft können sich Menschen nicht vorstellen, was Digitalisierung alles leisten kann. Deshalb brauchen wir Beispiele, die zum Nachahmen einladen. Was aus meiner Sicht außerdem notwendig ist und was ich mir wünsche, ist ein strukturierter Ansatz, am besten auf Bundesebene, der klärt: Welche Infrastruktur, wie zum Beispiel Plattformen für Sensordaten oder das Funknetzwerk LoRaWAN, wollen wir flächendeckend haben? Mein Eindruck ist, dass es sehr viele Projekte gibt, wir aber trotzdem nicht richtig weiterkommen. Ich denke, ein strukturierter, bundesweiter Ansatz könnte der digitalen Transformation einen enormen Schub geben.