Digitales Dorf Spiegelau-Frauenau - Digitales Bürgernetz

Digitales Dorf Spiegelau-Frauenau: „Digitalisierung muss in allen Rathäusern Chefsache werden“

#zuHause 14. April 2023

Bürgermeister Karlheinz Roth macht sich seit fast zwei Jahrzehnten für die digitale Transformation stark. © Landkreis Freyung-Grafenau

Die Initiative „Digitales Dorf Bayern“ ist 2017 mit dem Ziel gestartet, Digitalisierungschancen aufzugreifen und Ideen und Lösungen in Modelldörfern exemplarisch zu erproben. Das „Digitale Dorf Spiegelau-Frauenau“ gehörte zu den ersten von insgesamt fünf Modellregionen. Karlheinz-Roth ist dort seit 2014 Bürgermeister.

Herr Roth, wie hat die Initiative „Digitales Dorf Bayern“ Spiegelau verändert?

Mithilfe der Initiative ist es uns gelungen, das Thema Digitalisierung frühzeitig bei uns im Dorf zu platzieren. Unser Ansatz war, Digitalisierung ausschließlich dort einzusetzen, wo es Menschen etwas bringt. So sind viele Mehrwerte für die Bürgerinnen und Bürger entstanden. Darüber hinaus konnten wir verschiedene Infrastrukturmaßnehmen implementieren, die es ohne die Initiative nicht gegeben hätte – oder zumindest wären sie nicht in dem Tempo möglich gewesen.

Ortseingangsschild Spiegelau, darunter Schild mit Logo und Schriftzug der Initiative „Digitales Dorf“
Schon am Ortseingang weist ein Schild darauf hin, dass sich Spiegelau, eine kleine Gemeinde im Bayerischen Wald, in puncto Digitalisierung viel vorgenommen hat. © Gemeinde Spiegelau

Können Sie uns einige Beispiele nennen?

Da ist zum einen unsere digitale Bücherei, die aktuell einen Onlinebestand von mehr als 60.000 Medien hat. Dann haben wir eine Rathaus-App mithilfe des Digitalen Dorfes umgesetzt. Darüber können die Bürgerinnen und Bürger mit uns kommunizieren. Wenn sie im Kurpark spazieren gehen und sehen, dass ein Baum den Weg blockiert, können sie uns das direkt von dort melden. Außerdem hat die App eine Push-Funktion, die gerade in der Coronazeit sehr wertvoll war, da wir darüber unsere Bürgerinnen und Bürger sehr schnell und direkt über aktuelle Geschehnisse informieren konnten. Das dritte Beispiel betrifft unsere Grundschule, die wir komplett mit Glasfaser verkabelt haben. Außerdem haben alle Klassenzimmer einen Beamer, eine Dokumentenkamera, einen WLAN-Hotspot und eine Workstation erhalten, wo mehrere Kinder zusammen an einem Computer Übungen machen können. So können wir – obwohl wir eine Schule im ländlichen Raum sind – modernste Lehr- und Lernbedingungen bieten. Zu Beginn des Projekts „Digitale Dörfer“ standen in unserer Schule noch Tageslichtprojektoren.

Ich werde immer mal wieder gefragt, wie wir das alles in relativ kurzer Zeit geschafft haben – erst vor kurzem zum Beispiel bei einer Veranstaltung in England. Meine Antwort war: „We just did it.“ Wir leben in einem Land, in dem erst einmal alles dahingehend überprüft wird, warum etwas nicht geht. Hier wünsche ich mir einen Mentalitätswechsel. Mit dem Beispiel Spiegelau möchte ich anderen Mut machen.

Smartphone mit Rathaus-App
Mit der Rathaus-App sind Bürger:innen digital mit der Gemeinde vernetzt. © Technologie Campus Grafenau

Wie sieht es mit der Verwaltung aus?

Da haben wir einen enormen Sprung gemacht. Im Zuge des Projekts haben wir auch das Rathaus ans Glasfasernetz angeschlossen und in allen Teilen unseres Rathauses eine EDV-Lösung eingeführt, die untereinander kommuniziert. Das heißt: Die Information, die wir am Einwohnermeldeamt bekommen, wird an anderen Stellen weiterverwendet – natürlich unter Berücksichtigung der Datenschutzbestimmungen.

Indem wir Prozesse digitalisieren, arbeiten wir wesentlich effizienter. Für eine Auftragserteilung beispielsweise haben wir früher etwa zwei Wochen benötigt, heute schaffen wir das mitunter in einem halben Tag. Außerdem bringt der digitale Workflow mit sich, dass mein Büro inzwischen papierlos ist. In den vergangenen zwei Jahren haben wir vielleicht vier Päcklein Papier gekauft.


Können auch die Bürger ihre Anliegen online einbringen?

Auf jeden Fall. Das Onlinezugangsgesetz, demzufolge Bund, Länder und Kommunen Verwaltungsleistungen auch digital anbieten müssen, ist bei uns umgesetzt.


Was treibt Sie persönlich beim Thema Digitalisierung an?

Das Thema begleitet mich seit dem Jahr 2004. Ich war damals Vorsitzender einer örtlichen Jugendorganisation. Seinerzeit wurde an der Universität Passau ein Lehrstuhl für IT gegründet. Viele der Absolventen von dort sind damals ins oberösterreichische Hagenberg abgewandert, eine Gemeinde mit etwa 5.000 Einwohnern und einer Besonderheit: Die Gemeinde hatte eine 16.000er DSL-Leitung. Das war zu der Zeit sehr schnell. Außerdem gab es einen Softwarepark mit einer Vielzahl an Arbeitsplätzen. Dass wir unseren Nachwuchs exzellent ausbilden und dieser dann ins Ausland abwandert, hat mir nicht gepasst. Da bin ich aktiv geworden und habe gesagt: Wir brauchen eine Initiative, damit auch die ländlichen Regionen Breitband bekommen. Dafür habe ich hart gekämpft. Letztendlich konnte ich das Thema mithilfe der Presse ins Rollen bringen. So ging aus dem Ganzen das erste Förderprogramm für den Breitbandausbau im ländlichen Raum in Bayern hervor.

Wenn Sie mit einem Thema so eng verbunden sind, lässt es Sie nie mehr los. Noch heute beschäftige ich mich jede Minute mit der Frage, wie es mithilfe der Digitalisierung gelingen kann, unser Leben besser zu machen. Damit sage ich auch: Es muss nicht alles digital sein. Digitalisierung ist für mich noch nie Selbstzweck gewesen.


Vermutlich gelingt es Ihnen mit genau dieser Leidenschaft, die Menschen bei der digitalen Transformation mitzunehmen …

In der Tat ist das ein entscheidender Punkt. Bei der Digitalisierung reicht es nicht, einfach Geld zur Verfügung zu stellen. Das Thema muss in allen Rathäusern Chefsache werden, und als Bürgermeister müssen Sie mit dem Herzen dabei sein. Außerdem brauchen Sie in Ihrer Verwaltung eine Geschäftsleitung, die das Thema genauso in sich trägt und die Mitarbeitenden genauso motiviert wie Sie selbst. Nur so können Sie die Menschen von Veränderungen überzeugen.

Gleichzeit dürfen Sie die digitale Kompetenz nicht aus den Augen verlieren – weder bei den Mitarbeitenden der Verwaltung, der Geschäftsleitung oder sich selbst. Egal ob im Einwohnermelde- oder Bauamt: Die Anforderungen sind heute andere als vor 20 Jahren. Da müssen Sie die Menschen mitnehmen.


Und wie sieht es mit den Bürgerinnen und Bürgern aus?

Wenn wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger die digitale Transformation mitgehen, müssen wir sie frühzeitig einbinden. Bei uns hat das sehr gut funktioniert, indem wir sie zielgruppenorientiert angesprochen haben. Ein Beispiel ist unser Dorfbus, der vor allem für die ältere Bevölkerung interessant ist. Bevor wir dafür eine App entwickelt haben, mussten wir zunächst wissen, welche Buslinien wir brauchen. Um das herauszufinden, habe ich die Seniorinnen und Senioren vor Ort gezielt angesprochen und zu einer Bürgerversammlung eingeladen. Unsere Botschaft war: Wir wollen einen Dorfbus einführen. Euch brauchen wir, um zu wissen, wie wir das am besten machen.

Ich bin fest überzeugt: Wenn es unser Ziel ist, dass sich Bürgerinnen und Bürger an Politik beteiligen, müssen wir uns immer wieder die Frage stellen: Welche Aufgabe hat die Politik auf der einen Seite, und wo muss der Souverän loslassen, damit sich der Bürger auch ernst genommen fühlt und an Bürgerversammlungen teilnimmt. Wir haben das mit zwei W-Wörtern beantwortet: Das eine ist das ‚Was‘ und das andere das ‚Wie‘. Was umgesetzt wird und was die Zielsetzungen für die Zukunft sind, ist klassische Aufgabe der Politik. Wenn es aber um die Frage geht, wie etwas gestaltet werden soll, ist es eine gute Idee, wenn der Souverän loslässt. Das haben wir getan. Wir haben uns beim Bürgerbus tatsächlich keine Gedanken gemacht, wo die Haltestellen sein sollen, sondern den Bürgern vertraut. 70 Menschen sind zu unserer Bürgerversammlung gekommen. Es war ein Akt sehr lebendiger Demokratie. Ich denke, das ist ein Modell, das Zukunft in unserer Gesellschaft hat – unabhängig vom konkreten Projekt.

Bürgerbus vor dem fünf Personen stehen, rechts Bürgermeister Karlheinz Roth.
Der Dorfbus Spiegelau lässt sich per App buchen. Welche Haltestellen er anfährt, haben die Menschen in Spiegelau selbst festgelegt. © Gemeinde Spiegelau

Ein zweiter Punkt ist, dass Bürgerinnen und Bürger auch fähig sein müssen, Digitalisierung anzuwenden. Hierfür haben wir zusammen mit der Volkshochschule niederschwellige Kurse in kleinen Gruppen angeboten. Wir haben im Rahmen des Projekts „Digitales Dorf“ zum Beispiel eine Wisch-App entwickelt, mit der Seniorinnen und Senioren das Wischen auf dem Smartphone gelernt haben.


Digitalisierung macht sich nicht von allein. Braucht jede Gemeinde einen eigenen Digitalisierungsbeauftragten?

Das wird angesichts knapper Kassen und fehlender Fachkräfte nicht funktionieren. Ich habe deshalb bereits ein Modell vorgeschlagen, bei dem wir einen Pool haben, bei dem sich die Rathäuser anteilig Personal leihen bzw. Leistungen einkaufen können.

Eine letzte Frage: Wo sehen Sie Spiegelau in fünf Jahren?

Das ist schwierig zu sagen. Der Prozess ist zu dynamisch. Wir werden den Weg der Digitalisierung auf jeden Fall weitergehen und versuchen, das zu tun, was wir immer versucht haben: Chancen zu ergreifen. Wohin uns das führt, werden wir in fünf Jahren sehen.

Mehr über das „Digitale Dorf Bayern“ lesen Sie im Interview mit Professorin Diane Ahrens, eine der Initiatorinnen der Initiative, hier bei uns im Blog.

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