Gespräche mit der Ärztin, die Pflege zu Hause oder die Beratung in der Apotheke: Im Gesundheitsbereich ist der menschliche Kontakt besonders wichtig. Fest steht jedoch auch: Als ergänzendes Angebot kann die Digitalisierung Patient:innen gesundheitlich nützen, ihnen den Alltag erleichtern und das medizinische Personal bei der Arbeit unterstützen.
Bekannt sind in Deutschland vor allem digitale Neuerungen im Gesundheitswesen wie die digitale Gesundheitskarte, die digitale Krankenakte oder das E-Rezept, das ab dem kommenden Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung verpflichtend sein soll und damit das Papierrezept ablöst. Auch für digitale Gesundheitsanwendungen – die „App auf Rezept“ – und digitale Pflegeanwendungen hat der Gesetzgeber längst die rechtlichen Grundlagen geschaffen.
Das Bundesministerium für Gesundheit schreibt zu dieser Entwicklung auf seiner Website: „So können digitale Technologien uns helfen, die Herausforderungen besser anzugehen, vor denen fast alle Gesundheitssysteme der westlichen Welt stehen – immer mehr ältere und chronisch kranke Menschen zu behandeln, teure medizinische Innovationen zu bezahlen, strukturschwache ländliche Gebiete weiterhin gut medizinisch zu versorgen.“
Digitales Bürgernetz hat in den vergangenen Monaten immer wieder geschaut, welche digitalen Gesundheitsservices diese Unterstützung bereits heute leisten und ist in verschiedenen Bereichen fündig geworden. Hier der Überblick:
Der Gewinner des diesjährigen Wettbewerbs Digitale Orte in der Kategorie Gesundheit ist ein typisches Beispiel für ein unterstützendes digitales Angebot, das gerade auf dem Land seine Vorteile ausspielt. Das Projekt DECIDE der Universitätsmedizin Mainz bietet von Krebs oder Depression Betroffenen in ländlichen Gebieten eine personalisierte Bewegungstherapie – über das Smartphone. Die Patient:innen erhalten Informationen und Trainingsanleitungen. Sensoren am Handgelenk und Rückmeldungen über die Smartphone-App übermitteln umgekehrt Trainingsdaten, die mithilfe von künstlicher Intelligenz ausgewertet werden.
„Wir wollen damit auch die Barriere zwischen Uniklinik und den Behandlern der Patienten vor Ort verringern und insbesondere einen digitalen Datenaustausch möglich machen“, erläutert Dr. Torsten Panholzer, kommissarischer Leiter der Abteilung Medizinische Informatik. „Nach der Bewegungstherapie aus der Ferne, die als Zusatztherapie gedacht ist, werden weitere Funktionen für die eigentliche Krebs- oder Depressionsbehandlung in das System aus Patienten-App und Klinik-Komponente eingebaut.“
Wir haben mit den Macher:innen von DECIDE nach der Preisverleihung gesprochen:
Ein digitaler Datenaustausch zwischen Arztpraxen, Krankenhäusern, Universitätskliniken und Patientinnen und Patienten ist noch immer nicht einfach – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Aber wenn auf dem Land der Weg zum Arzt länger wird, ist ein fehlender Datenaustausch besonders nachteilig für den Patienten. Die Durchführung und Überwachung der telemedizinischen Bewegungstherapie mit Handgelenksensoren und einer mobilen App wird von uns erstmals evaluiert.
Nach den realisierten Funktionen für die Bewegungstherapie aus der Ferne, die als Zusatztherapie gedacht ist, werden weitere Funktionen für die eigentliche Krebs- oder Depressionsbehandlung eingebaut. Dies soll dazu beitragen, dass eine übergreifende, koordinierte und strukturierte Versorgung mit regionalen Partnern oder sogar Behandlungsnetzwerke möglich werden und die Patientinnen und Patienten besser bei der Therapie eingebunden werden können.
Der Wettbewerb ist eine gute Bühne für neue Ideen zur Digitalisierung im ländlichen Raum. Die Entwicklungen, die noch in der Startphase sind, können darüber eine große Aufmerksamkeit bekommen.
Ebenfalls auf den sensorgestützten Datenaustausch setzt das Digitale Gesundheitsdorf Oberes Rodachtal. Um älteren Menschen ein selbstbestimmtes Leben im eigenen Zuhause zu ermöglichen, nutzt das Projekt digitale Assistenztechnologien sowie eine digitale Plattform, die Seniorinnen und Senioren, Pflegebedürftige oder chronisch kranke Menschen mit deren Angehörigen, ambulanten Pflegediensten und Hausärzten vernetzt.
„Künftig könnten wir mithilfe der Digitalisierung das gesamte Gesundheitssystem entlasten“, ist Eva-Maria Müller, Projektleiterin Digitalisierung beim am Projekt beteiligten Caritasverband überzeugt. „Wenn Menschen in ihren eigenen vier Wänden gut überwacht und versorgt sind, könnten wir uns zum Beispiel so manchen Weg zum Arzt oder den ein oder anderen Kliniktransport sparen.“
Eine solche Entlastung des Gesundheitssystems in strukturschwachen Regionen versprechen sich die Initiatoren eines weiteren Digitale-Orte-Finalisten-Projekts aus dem Bereich Gesundheit: Der BARMER Teledoktor ist eine App, die ärztliche Fernbehandlung in Fachrichtungen wie Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Frauenheilkunde ortsunabhängig ermöglicht – oder zumindest eine Einschätzung gibt, ob der Gang zum Arzt angezeigt ist.
„Wir wollen einfache Lösungen in einem komplexen Themenfeld finden. Das ist uns hier gelungen. Unsere Versicherten sind glücklich darüber, digital mit Ärztinnen und Ärzten in Kontakt zu treten. Das geht schnell, ist qualitätsgesichert und lässt sich gut in den Alltag integrieren“, berichtet Florian Forstnig, der bei der BARMER für Digitale Versorgung und Prävention zuständig ist.
Von diesem Angebot ist es nicht mehr weit zu den digitalen Gesundheitsanwendungen, die Patient:innen bei konkreten Anliegen helfen. Die „App auf Rezept“ NichtraucherHelden beispielsweise soll „aufhörwillige Raucher:innen auf eine zeitgemäße Art und Weise bestmöglich beim Rauchausstieg unterstützen“, berichtet Andy Bosch, Geschäftsführer von NichtraucherHelden. „Wie in der klassischen Therapie läuft das in erster Linie über Verhaltensänderungen. Man weiß aus vielen Studien, dass ein wesentlicher Erfolgsfaktor darin besteht, die Kopplung zwischen bestimmten Lebenssituationen und Rauchen aufzulösen und neue Verbindungen zu schaffen, Alternativen zu suchen und Rückfallgefahren vorherzusehen. Dabei können wir Menschen viel besser und intensiver begleiten als ein Arzt, der im Praxisalltag gar nicht die Zeit dazu hat, den Patienten so lange zu unterstützen.“
Die mangelnde Zeit im Praxisalltag oder in Krankenhäusern hat ein weiteres Finalisten-Projekt des Wettbewerbs Digitale Orte im Blick: Die GWA Hygiene GmbH stellt sich Herausforderungen, die durch demographischen Wandel und Fachkräftemangel entstehen. „Es braucht zwingend Arbeitserleichterungen für das noch vorhandene Klinikpersonal, um die Qualitätsstandards in der Patientenversorgung aufrechtzuerhalten“, betont Toralf Schnell, Chief Market Management Officer bei GWA Hygiene.
Das Unternehmen entwickelte zum Beispiel einen ZonenSensor, der Prozesse in Pflege- und medizinischen Einrichtungen überwacht und zur Patientensicherheit beiträgt. Die GWA Hygiene GmbH nutzt auch ein System zum Tracking von Blutkulturen, um Blutvergiftungen schneller diagnostizieren zu können.
Mit anderen digitalen Lösungen aus dem Gesundheitsbereich haben die Lösungen gemein: Ihr Erfolg ist immer eine Teamleistung. Denn erst in der praktischen Anwendung und im Zusammenspiel von Ärzt:innen, Pflegepersonal und Patient:innen entfalten sie ihre Wirkung.