Was darf’s sein? Brötchen und Brote in den Regalen des „Sylt Bäcker to go“, der die Automatisierungslösung BÄKO-AutoPOS nutzt. © BÄKO Zentrale eG / Korte Einrichtungen
Bäckereien in Deutschland leiden unter dem Fachkräftemangel: Sowohl in der Backstube als auch im Verkaufsraum fehlt das Personal – doch Kundinnen und Kunden wünschen sich weiterhin möglichst kurze Wege zu Brot, Sonntagsbrötchen und Kuchen. Zumindest beim Verkauf der Waren können KI-basierte Systeme inzwischen helfen, indem sie die Kundschaft beim Einkauf beobachten und automatisch abrechnen. Die Bäckereigenossenschaft BÄKO hat im vergangenen Jahr eine solche Softwarelösung vorgestellt – im Frühjahr startete das erste Pilotprojekt auf Sylt.
BÄKO-AutoPOS soll in Zukunft den Einkaufsprozess aktiv begleiten: Kameras, ein Wiegesystem im Regal sowie die KI-Auswertung der Bilder erfassen, welche Waren im Einkaufkorb landen. Bezahlt wird automatisch, sobald Kundinnen und Kunden die Filiale verlassen. Das System soll unterschiedliche Betriebsformen unterstützen: vom hybriden Modell mit Fachberatung oder Bedienung bis zur autonomen SB-Bäckerei. „Unser Fokus liegt auf der Stärkung der Beratungsfunktion des Fachpersonals in den Bäckerei- und Konditoreifilialen. Das System schafft zeitliche Freiräume für den Verkauf und steigert zudem die Effizienz. So können sich Handwerksbetriebe im Vergleich zum backwarenvertreibenden Wettbewerb positiv abheben“, erläutert Stefan Strehle, Vorstandssprecher der Bäko-Zentrale eG, die das Konzept federführend mit den Partnern Autonomo Technologies und Korte in die Pilotphase führt.
Idealerweise führe das System zu einer Entlastung der Fachkräfte, schreibt Bäko in einer Pressemitteilung. Das erste Pilotprojekt auf Sylt kommt allerdings gleich ganz ohne beratendes Personal aus: Die Bäckerei Raffelhüschen hat im Frühjahr in Westerland den „Sylt Bäcker to go“ eröffnet. „Für uns als Handwerksbetrieb ist Sylt ein Bestandteil unserer Identität. In dieser idyllischen Lage ist es leider besonders schwierig, gute Fachkräfte zu finden“, sagt Thomas Raffelhüschen, der den Betrieb bereits in vierter Generation führt. „Eigentlich würden wir den Standort hier gern als hybrides Konzept mit Fachbedienung weiterführen. Dies lässt jedoch die personelle Situation derzeit nicht zu. Wir wollen hier weiterhin unsere naheliegenden Gäste und Kunden mit unserer Handwerkskunst erreichen und verwöhnen. Deshalb starten wir hier ein autonomes Konzept und sammeln Erfahrungen.“
In der Verkaufsstelle gibt es fertig verpackte Kekse, aber auch unverpackte Brötchen und Brote sowie Lebensmittel wie Milch, Butter und Eier. Das Einkaufen soll möglichst unkompliziert sein: Deswegen wählen die Kundinnen und Kunden gleich am Eingang aus, welches Bezahlmittel sie nutzen wollen. Die KI ordnet das gewählte Zahlungsmittel dann der Person zu und eröffnet einen virtuellen Warenkorb. Dieser erfasst alle Produkte, die auch in der realen Einkaufstasche oder Brötchentüte landen. Sobald die Kundin oder der Kunde den Laden verlässt, schließt sich der virtuelle Warenkorb und das System rechnet ab. Wer hinterher noch einmal den Kassenbon anschauen will, nutzt eine App oder die Website. Bei Fragen während des Einkaufs steht ein digitaler Videoassistent Rede und Antwort.
„Unser Ziel ist es, den backenden Handwerksbetrieben mit BÄKO-AutoPOS standortindividuelle Erfolgsperspektiven zu bieten. Dies umfasst ausdrücklich die Empfehlung zu fundierter Fachberatung und empathischem Bedienverkauf“, betont Stefan Strehle. „Individuelle Standortfaktoren bieten jedoch nicht immer alle Realisationsmöglichkeiten. Die SB-autonome Variante ist eine von vielen Möglichkeiten, den Kunden handwerkliche Backwaren anbieten zu können.“
Die KI-basierte Lösung für Bäckereien liegt im Trend: In deutschen Großstädten, aber auch auf dem Land eröffnen neue Smart Stores, in denen der Einkauf automatisch erfasst wird. Ganz vorne mit dabei ist die Rewe Gruppe, die bereits mehrere so genannte „Pick & Go“-Filialen eröffnet hat. Rewe-Tochter Lekkerland setzt derweil auf kleinere autonome Shops für REWE To Go. „Konsument:innen lieben es bequem. Sie wollen sich jederzeit und ganz einfach versorgen können“, sagt Mehmet Tözge, Director Smart Store Development dazu im Interview. „Dabei sind sie viel offener für bargeldloses Bezahlen und für neue Technologien als früher. Vom Bestellen per Touchscreen bis zum Self-Checkout im Supermarkt, Baumarkt oder Modegeschäft – Services, die den Einkauf vereinfachen und beschleunigen, werden von den Verbraucher:innen angenommen und nachgefragt.“
Anders als die Sylter Bäckerei finden sich die To-go-Shops von Rewe oft nicht Wohngebieten, sondern in Krankenhäusern, Universitäten, Flughäfen oder Bahnhöfen. Damit wenden sie sich an ein Publikum, das sich unterwegs mit Kleinigkeiten versorgen will.
Sind Smart Stores also ein Konzept für ländliche Regionen? Tatsächlich wird die Nahversorgung auf dem Land seit Jahren schlechter. Eine Datenauswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung zeigte 2022 große Unterschiede zwischen eher städtisch und eher ländlich geprägten Bundesländern. In manchen entlegeneren Landkreisen hatte sogar nur jeder Dritte Zugang zu einem Supermarkt im Umkreis von 1.000 Metern. Die autonomen Shops könnten Teil einer Lösung sein: Sie benötigen weniger oder kein Personal im Verkauf und können großzügige Öffnungszeiten anbieten – zumindest als Ergänzung für den Supermarkt in der nächsten Stadt wären sie geeignet.
Unter Smart Stores versteht man Ladenkonzepte, die verstärkt Digitalisierung, Automatisierung und KI nutzen. In der Regel benötigen sie deutlich weniger oder kein Personal, um Waren abzurechnen oder den Zugang zum Ladengeschäft zu regeln.
Die autonomen Stores sind in Deutschland eher die Ausnahme als die Regel: Die Bäckerei Raffelhüschen auf Sylt gilt als Pionier für das System der BÄKO. Der Rewe-Konzern hat bereits einige wenige Pick & Go-Supermärkte eröffnet. Die Tochter Lekkerland testet weitere To-go-Lösungen.