Ein Coworking-Space kann mehr sein als nur ein Arbeitsort. ©Unsplash/Cowomen
„Frühmorgens aufstehen, zur Arbeit fahren und abends wieder nach Hause. Dieses Modell ist für viele Menschen in Europa nicht mehr zeitgemäß“, sagt Dr. Thilo Lang vom Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Leipzig. Durch die Digitalisierung verändert sich, wie wir leben und arbeiten – eben nicht nur im klassischen Büro, sondern auch zuhause. Oder wir nutzen kollaborative Arbeitsorte: Experimentierräume, Coworking-Spaces, Maker-Spaces und FabLabs (d. h. Fabrication Laboratory – eine Art offene Werkstatt) oder Repair Cafés. Ausgehend von den großen Metropolen in Europa breitet sich dieses Phänomen mittlerweile auch auf dem Land aus. Doch welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es? Und welchen Beitrag können diese Orte konkret leisten, um strukturschwache ländliche Regionen von Portugal bis Estland wiederzubeleben? Darüber ist im Einzelnen bisher wenig bekannt. Für Politikerinnen und Politiker stellt sich zudem die Frage: Können und sollten solche Orte gefördert werden? Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das aus Mitteln der Europäischen Union (EU) finanziert wird und bis 2024 läuft, soll Antworten geben. Koordiniert wird es von der Panteion-Universität in Athen.
„Frühmorgens aufstehen, zur Arbeit fahren und abends wieder nach Hause. Dieses Modell ist für viele Menschen in Europa nicht mehr zeitgemäß.“
Dr. Thilo Lang
In das Forschungsprojekt mit dem Kurztitel „CORAL“ sind Expertinnen und Experten aus sechs europäischen Ländern eingebunden. Sie kommen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Griechenland, Österreich und Lettland, ihre Fachgebiete sind die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Geografie, Raumplanung, Stadt- und Raumentwicklung. Im Rahmen des Projektes sammeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Daten, vergleichen Modelle und Ansätze aus den einzelnen Ländern miteinander. „Womit waren Projekte erfolgreich? Welche Fehler wurden gemacht? Worauf muss geachtet werden? Finden wir in Ländern mit unterschiedlichen politischen und kulturellen Kontexten vergleichbare Prozesse und vergleichbare Erfolgsfaktoren?“, fasst Dr. Thilo Lang einige Leitfragen zusammen. Ziel sei aber keine Best-Practice-Sammlung. Stattdessen sollen für die Verantwortlichen auf lokaler und regionaler Ebene Handreichungen entwickelt werden: Sie sollen Empfehlungen an die Hand bekommen, wie sie erfolgreich neue Formen des Lebens und Arbeitens in strukturschwachen ländlichen Regionen umsetzen können. „Für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind die Schlüsse, die wir ziehen, besonders interessant“, so Dr. Thilo Lang.
In dem Projekt werden außerdem 15 Doktorandinnen und Doktoranden ausgebildet. Denn es fehlt europaweit an qualifizierten Fachkräften, um Kommunen und Initiativen zu beraten. Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler promovieren außerhalb ihres Heimatlandes und arbeiten bei Organisationen, die Ideen für kollaboratives Arbeiten entwickeln und umsetzen und die Partner des Forschungsprojektes sind. Dazu gehören beispielsweise das European Creative HUB Netzwerk, die österreichische Genossenschaft Otelo eGen und der Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft Sachsen e.V. Die Architektin Claudia Muntschick arbeitet bei dem Projekt KREATIVES SACHSEN, das von diesem Landesverband getragen wird. Sie ist Ansprechpartnerin für Raum- und Nachnutzungsthemen in Ostsachsen und berät Unternehmen und Soloselbstständige aus der Kultur- und Kreativwirtschaft, die alte Industriebrachen in kleineren und mittleren Städten zu gemeinsamen Arbeitsorten umgestalten wollen. „Gerade für uns Praktiker ist es wichtig, eine Übersicht zu bekommen, welche Effekte solche Orte auf die Umgebung haben. Und wie wir den richtigen Betreiber finden und Kommunalpolitiker von solchen Modellen überzeugen können“, sagt Muntschick. Sie erhofft sich wichtige Impulse von dem Forschungsprojekt. „Es geht auch um Demokratiebildung und darum, Tradition und Zukunft zusammenzubringen.“
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Auf der Suche nach neuen Lösungen lohnt sich der Blick über den Tellerrand. Jede Region in Europa tickt zwar anders und braucht individuelle Lösungen. Dennoch gibt es auch viele Gemeinsamkeiten: Die Bevölkerung ist in ländlichen Gebieten älter als in den städtischen. Und sie wird in den kommenden Jahren weiter schrumpfen. Viele Gebäude stehen leer, oft fehlt es an Schulen, Krankenhäusern, Arbeitsplätzen und Einzelhandelsgeschäften. Deshalb sind viele Kleinstädte und Dörfer in der EU zum Wohnen und Arbeiten nicht besonders attraktiv. Große Hoffnungen sind mit kollaborativen Arbeitsorten verbunden. Sie werden als Chance gesehen, um die Landflucht umzukehren und strukturschwache Regionen wiederzubeleben. Insbesondere die Promovierenden sollen den Weg dafür ebnen und später als Multiplikatoren ihr Wissen an Beschäftigte, Unternehmen und politische Entscheidungsträger weitergeben. „Am Ende des Projektes wünschen wir uns, dass sie die entsprechenden Positionen finden. Das kann in lokalen Initiativen sein, in größeren Projekten oder in Ministerien. Sie schaffen die Basis, die andere nutzen können“, sagt Dr. Thilo Lang.
Beim Leibniz-Institut für Länderkunde finden Sie weitere Informationen über das Forschungsprojekt.
Statistiken zu Coworking-Spaces in Deutschland finden Sie beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).