Der Gender Digital Gap zeigt geschlechtsspezifische Unterschiede im Umgang mit digitalen Technologien. ©Daniel Ingold/Westend61
Der Frauenanteil in technisch, naturwissenschaftlich oder digital geprägten Berufen ist in Deutschland nach wie vor gering. Das wissen auch die Organisator:innen des bundesweiten Girl’s Day – der dem weiblichen Nachwuchs Tätigkeiten in MINT-Berufsfeldern schmackhaft machen soll. Wenige Wochen vor dem Girl’s Day 2024 meldeten sie aktuelle Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: „Unter den zehn am häufigsten im dualen System ausgebildeten MINT-Berufen ist der Frauenanteil bei Fachinformatiker:innen in der Fachrichtung Anwendungsentwicklung mit 14 Prozent am höchsten, während er bei Anlagenmechaniker:innen in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik mit nur 2,5 Prozent am geringsten ausfällt. Außerhalb der Top 10 gibt es aber auch duale MINT-Ausbildungsberufe, in denen Frauen in der Mehrheit sind. Dazu gehören zum Beispiel […] Mediengestalter:innen (67,7 Prozent).“
Statistische Untersuchungen, Umfragen und andere Studien bestätigen immer wieder den so genannten Gender Digital Gap oder Digital Gender Gap. Er zeigt zum Beispiel geschlechtsspezifische Unterschiede beim Umgang mit digitalen Technologien: in Bezug auf die tägliche Nutzung, aber auch, was die Selbsteinschätzung betrifft.
So hat etwa das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung RWI vergangenes Jahr Daten des Nationalen Bildungspanels zu den digitalen Kompetenzen von Schüler:innen ausgewertet. Ergebnis: „Mädchen und Jungen unterscheiden sich kaum in ihren digitalen Kompetenzen. Allerdings wählen Mädchen tendenziell nur dann eine Karriere im MINT-Bereich, wenn ihre digitalen Kompetenzen überdurchschnittlich ausgeprägt sind“, sagt RWI-Wissenschaftlerin Friederike Hertweck. „Weibliche Jugendliche brauchen daher verstärkt Vorbilder aus dem MINT-Bereich und eine Rückmeldung zu ihren Kompetenzen. Zudem sollte der Aufbau digitaler Kompetenzen früh gefördert werden. Denn: Gerade in MINT-Berufen fehlen uns viele Fachkräfte.“
Dass der Digitalisierung die Frauen fehlen, stellte ebenfalls im vergangenen Jahr ein Kurzbericht des Instituts der deutschen Wirtschaft IW Köln fest. Die Analyse von Daten aus der IW-Fachkräftedatenbank zeigt, was mit ein Grund für den Fachkräftemangel in den Digitalisierungsberufen ist: der geringe Anteil von Frauen. So waren 2021/22 nur 16,3 Prozent der Beschäftigten in Digitalisierungsberufen weiblich. Seit 2013 ist dieser Anteil zudem nur gering um 1,7 Prozentpunkte gewachsen.
Der geschlechtsspezifische Unterschied zeigte sich auch bei einer Auswertung der IW-Patentdatenbank: Der Anteil der Frauen bei den Patentanmeldungen in Digitalisierungstechnologien war von 2010 bis 2019 nur marginal gestiegen – von 3,7 Prozent auf 5,2 Prozent. Das IW Köln folgert: „Um die Potenziale der Frauen für Digitalisierungsberufe zu heben, sollten schon in der Schulzeit geeignete Maßnahmen umgesetzt werden.“ Das Institut empfiehlt, schulisches Feedback, Mentoringprogramme sowie Angebote für praktische Erfahrungen einzusetzen oder die Wichtigkeit der Digitalisierungsberufe für Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu betonen.
Die digitale Transformation kann sogar die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Arbeitsmarkt verstärken. Zu diesem Schluss kam 2023 eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, die Befragungsdaten des repräsentativen Nationalen Bildungspanels (NEPS) auswertete.
Dort zeigte sich, dass Frauen und Männer zwar ähnlich häufig Computer nutzen. Die Unterschiede beim Gebrauch von digital vernetzten Technologien, wie zum Beispiel Cloud-Services, sind jedoch groß – vor allem, wenn Frauen in Teilzeit arbeiten. Die Folge: Frauen bewerten ihre Karriereaussichten im Schnitt als ungünstiger: Nur 34 Prozent der berufstätigen Frauen glauben, dass sie gut auf die Anforderungen digital vernetzter Technologien vorbereitet sind, während dieser Anteil bei den männlichen Arbeitnehmern bei 48 Prozent liegt. Nur 10 Prozent der befragten Frauen rechnen zudem mit einer Verbesserung ihrer Berufsaussichten durch die Digitalisierung, im Gegensatz zu 18 Prozent bei den Männern.
Selbst wenn die Auswertung den beruflichen Status oder die Tätigkeit berücksichtigte, blieb die digitale Benachteiligung der Frauen statistisch signifikant, betont WSI-Forscherin und Studienautorin Dr. Yvonne Lott [https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-berufstatige-frauen-bei-digitalisierung-im-nachteil-47258.htm]. „Diese geschlechterbezogenen Unterschiede – auch in Hinblick auf den Arbeitszeitumfang – scheinen also unabhängig von der Tatsache zu bestehen, dass Frauen und Männer in unterschiedlichen betrieblichen Positionen und Branchen arbeiten und unterschiedliche Tätigkeiten ausüben.“
An zwei zentralen Punkten müsse sich etwas ändern:
Gewinnen würden bei einer Arbeitskultur, die sich dem Leben anpasst, wohl alle Beschäftigten. Und die Digitalbranche könnte so ihren Fachkräftemangel etwas abmildern.
Der Gender Digital Gap oder Digital Gender Gap bezeichnet geschlechtsspezifische Unterschiede im Kontext der Digitalisierung. Er zeigt sich besonders in Digitalisierungsberufen, jedoch nicht nur dort: Auch bei stark digital geprägten Tätigkeiten sind Frauen zurückhaltender als Männer. Dazu kommt, dass sie ihre digitalen Kompetenzen geringer einschätzen – was Folgen für die Berufswahl hat und den Gender Digital Gap stabilisiert.