Prof. Dr. Elisa Hoven leitet eine Studie, die untersuchen soll, wie digitaler Hass auftreten, welche Folgen er haben und wie man ihm rechtlich begegnen kann. ©Prof. Dr. Elisa Hoven
Prof. Dr. Elisa Hoven ist Professorin am Lehrstuhl für Deutsches und Ausländisches Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Medienstrafrecht der Universität Leipzig. Sie leitet aktuell ein vom Bundesjustizministerium gefördertes Projekt zum strafrechtlichen Umgang mit digitalem Hass, mit dem untersucht werden soll, in welchen Formen digitaler Hass auftritt, welche Folgen er hat und wie man ihm rechtlich begegnen kann. Mit dem Digitalen Bürgernetz sprach sie über eine aktuelle Studie im Rahmen dieses Projekts.
Frau Prof. Dr. Hoven, ihr Forschungsprojekt zu Hass im Netz startete 2020 mit einer Studie. Was war Gegenstand Ihrer Untersuchung?
Es handelte sich um eine repräsentative Bevölkerungsbefragung, um herauszufinden, wie viele und welche Menschen in Deutschland von Hass im Internet betroffen sind – entweder direkt, indem sie adressiert werden, oder aber indirekt, wenn sie Hasskommentare an Dritte im digitalen Raum wahrnehmen. Außerdem hat uns interessiert, welche Auswirkungen diese Hassnachrichten auf sie haben. Zwei Jahre später, im Sommer dieses Jahres, haben wir die Befragung wiederholt, um die Entwicklung des Phänomens beobachten zu können.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse? Welche Schlüsse kann man daraus ziehen?
Bereits in der ersten Befragung wurde sichtbar, dass viele Menschen in Deutschland von digitalem Hass betroffen sind. 18 Prozent der Befragten hatten schon einmal selbst Hasskommentare erhalten. 2022 ist dieser Anteil auf 24 Prozent gestiegen. Noch alarmierender sind die Zahlen mit Blick auf die Jüngeren: In der sogenannten Generation Z hat jeder und jede Zweite schon selbst Hassnachrichten bekommen. Das deutet darauf hin, dass die Konfrontation mit digitalem Hass in den kommenden Jahren weiter steigen wird.
Wir fanden auch heraus, dass Männer mit 28 Prozent etwas häufiger als Frauen von Hasskommentaren betroffen sind. Bei den weiblichen Befragten gaben 21 Prozent an, betroffen zu sein. Weitere Studien haben gezeigt, dass Frauen oftmals anders als Männer angegriffen werden: Sie erhalten häufiger sexualisierte Kommentare, etwa Vergewaltigungsdrohungen.
Inwiefern gefährden Hasskommentare im Netz die öffentliche Meinungsvielfalt oder Meinungsfreiheit? Welche Entwicklungen könnten dadurch entstehen?
Unsere Studie hat gezeigt, dass sich viele Befragten aus Sorge vor Hasskommentaren aus dem digitalen Raum zurückziehen, entweder gar nicht mehr posten oder Beiträge bewusst vorsichtiger formulieren. Das trifft auf die Hälfte aller Befragten zu. Unter denjenigen, die schon selbst von Hassrede betroffen waren, liegt der Anteil sogar bei 73 Prozent. Das bedeutet, dass der gesellschaftliche Diskurs durch Hasskommentare ganz erheblich eingeschränkt werden kann. Die Meinungen vieler Menschen sind dadurch nicht mehr sichtbar. Dieser „Silencing“-Effekt, also das Verstummen von Personen und Positionen, hat sich in den letzten beiden Jahren ebenfalls verstärkt – eine Entwicklung, die Sorgen macht. Denn letztlich bedrohen Einschränkungen des öffentlichen Diskurses unsere Demokratie.
Benötigen wir Veränderungen in der strafrechtlichen Verfolgung oder geht es mehr darum, die bestehenden Gesetze besser durchsetzen zu können?
Es ist wichtig, unsere Strafgesetze regelmäßig daraufhin zu überprüfen, ob sie aktuelle Phänomene noch angemessen erfassen. Hier gibt es einigen Änderungsbedarf, gerade um besonderen Formen von Hass – etwa gegen vulnerable Gruppen oder sexualbezogene Herabwürdigungen – angemessen zu sanktionieren. Mindestens ebenso wichtig ist aber, dass bestehende Gesetze auch tatsächlich durchgesetzt werden. Recherchen wie die des ZDF Magazin Royale haben gezeigt, dass die strafrechtliche Verfolgung von Hass im Netz nicht überall in Deutschland gleich gut funktioniert. Teilweise wird das Problem des digitalen Hasses nicht ernst genug genommen. In einigen Polizeidienststellen wurde Menschen, die Anzeige erstatten wollten, sogar davon abgeraten, Hass zu melden.
Diese Ergebnisse decken sich auch mit Berichten von Betroffenen, die wir in einer Interviewstudie gesammelt haben. Mehrfach wurde uns berichtet, dass Hasskommentare bagatellisiert wurden, es bereits an einem technischen Verständnis von sozialen Netzwerken fehlte und die Ermittlungen zumeist eingestellt wurden. Einige Bundesländer haben bereits Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet, um Hass im Netz besser verfolgen zu können. Auch wenn also bereits positive Veränderungen im Umgang mancher Behörden mit digitalem Hass bemerkbar sind, bleibt noch einiges zu tun. Das Strafrecht kann aber nur ein Baustein sein. Ebenso wichtig ist, dass Hass im Netz von der Gesellschaft als Problem wahrgenommen und nicht mehr toleriert wird.
Die Ergebnisse der Studie finden Sie hier.