Josephine Ballon zu Hass im Netz - Digitales Bürgernetz

Hass im Netz: Wie HateAid auch im Netz einen funktionsfähigen Rechtsstaat aufrecht erhalten will

#Gemeinschaft 18. Januar 2023

Josephine Ballon, Head of Legal bei HateAid, der ersten bundesweit tätigen Beratungsstelle für Opfer digitaler Gewalt. © Andrea Heinsohn Photography

Mit HateAid gründete sich 2018 die erste bundesweit tätige Beratungsstelle für Opfer digitaler Gewalt. Die Organisation unterstützt von Hass im Netz Betroffene und engagiert sich politisch auf Bundes- und EU-Ebene. Josephine Ballon, Head of Legal bei HateAid, erläutert, warum Hate Speech die gesamte Gesellschaft und nicht nur die Betroffenen angeht und was sich in punkto Gesetzgebung und Strafverfolgung ändern muss.

Frau Ballon, warum wurde HateAid gegründet und welche Aufgabe übernehmen Sie als Volljuristin bei der Organisation?

Anstoß für die Gründung von HateAid war eine Studie der Organisation Campact in Hessen, die unsere heutige Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg dort durchführen ließ. Diese ergab, dass nicht nur die unmittelbar von Hass im Netz Betroffenen darunter leiden, sondern er sich auch auf Menschen, die diese Kommentare lesen, auswirkt. Denn auch sie beginnen, sich aus Angst vor digitalen Angriffen aus dem Netz zurückzuziehen. Dadurch verändert sich der gesamte gesellschaftliche Diskurs und die Meinungsfreiheit wird gefährdet, wenn diese Menschen sich nicht mehr trauen, sich überhaupt noch zu äußern.

So verschiebt sich der öffentliche Diskurs immer stärker zugunsten derjenigen, die Hass und Hetze im Netz verbreiten, obwohl sie eine Minderheit darstellen, auch wenn sie sehr laut ist. Sie wollen aber den Eindruck erwecken, in der Mehrheit zu sein, indem sie beispielsweise mit Mehrfachprofilen agieren oder die Algorithmen sozialer Netzwerke gezielt ausnutzen, um sich viel Sichtbarkeit zu verschaffen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die gesamte öffentliche Debatte von einer kleinen Gruppe Täter:innen gesteuert wird.

Deswegen ist es sehr wichtig, Hass im Netz nicht hinzunehmen, sondern dagegen vorzugehen und auch strafrechtlich zu verfolgen. Es geht nämlich nicht um traurige Einzelfälle, sondern um nicht weniger als die Rettung unserer Demokratie. Meine Aufgabe ist es, die Rechtslage der Betroffenen digitaler Gewalt im Blick zu behalten und ihre Position in Gesetzgebungsvorschläge einzubringen, was wir auf nationaler und europäischer Ebene tun. Als ich vor dreieinhalb Jahren zu HateAid kam, hatte die Organisation gerade die erste Förderung durch das damalige Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz erhalten, und natürlich war es spannend, mich direkt mit so einem dynamischen und neuen Rechtsgebiet zu befassen. Rechtlich ist dieses Thema immer noch eine Nische, daher können wir aber auch noch einiges bewirken, und die Bereitschaft uns zuzuhören ist groß. 

 

Welche Menschen kommen zu Ihnen und wie kann HateAid ihnen helfen?

Natürlich in erster Linie Menschen, die viel im Internet unterwegs sind. Beunruhigend ist, dass der Hass sich auf immer mehr Themengebiete auszudehnen scheint. Drehte es sich 2015 noch in erster Linie um das Thema Migration und Flucht, gibt es heute vielfältige Gründe, um angegriffen zu werden. Nicht mehr nur marginalisierte Gruppen, beispielsweise aufgrund ihrer Herkunft oder sexuellen Orientierung, werden attackiert, sondern potenziell jeder oder jede, der oder die sich zu gesellschaftlich relevanten Themen äußert. Journalist:innen, Politiker:innen und Aktivist:innen, aber auch Influencer:innen zählen dazu. Im Zuge der Corona-Pandemie rückte beispielsweise medizinisches Fachpersonal in den Fokus, weil sich im Netz zu Themen wie Infektionen und Impfen geäußert wurde.

In unsere Beratung kommen nur etwas mehr Frauen als Männer, aber bei den Fällen, in denen wir Prozesskostenhilfe leisten, sind drei Viertel der Betroffenen Frauen. Sie sehen sich in der Regel drastischeren Angriffen ohne jeglichen Sachbezug ausgesetzt, stark sexualisiert, bis hin zur Androhung von Vergewaltigung und Verstümmelung.

Betroffenen muss klar werden, dass sie gar nicht persönlich angegriffen werden, auch wenn es sich sehr persönlich anfühlt. Hinter Hasskommentaren steckt eine Strategie und der Wille, an einer Person ein Exempel zu statuieren. Wir ermutigen die Menschen dazu, sich zu wehren, und unterstützen sie dabei. Alleine kann man so etwas nervlich und finanziell gar nicht durchstehen. Dank Fördergeldern von Stiftungen und Spenden sind wir in der Lage, Prozesskostenhilfe zu leisten, wenn sich Opfer dazu entscheiden, strafrechtlich gegen die Täter vorzugehen. Selbst einer Person wie Renate Künast hätte sich ohne unsere Begleitung und die Finanzierung des langwierigen Prozesses wohl eher nicht dazu entschieden, die Menschen, die sie im Internet beleidigt haben, zu verklagen.

Die Mitarbeiter:innen von HateAid stehen vor einem Gebäude.
Das Team von HateAid. © Andrea Heinsohn Photography

Frau Künast hat sich ja drei Jahre lang durch alle Instanzen geklagt und nun endlich Recht bekommen. Muss sich an der Gesetzeslage etwas ändern, oder müssen die Gesetze anders durchgesetzt werden?

Zunächst ist dieser Fall ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wichtig unsere Arbeit ist und dass wir damit wirklich etwas erreichen können. Außerdem ist es ein Signal dafür, dass die Zivilgesellschaft durchaus die Möglichkeit hat, sich Hass und Hetze entgegenzustellen.

Wir haben in Deutschland im Prinzip einen soliden Rechtsrahmen, von dem andere Länder nur träumen können. Einiges wurde auch schon verbessert, zum Beispiel die Einordung einer angedrohten Vergewaltigung als Straftat. Aber da sich die digitale Landschaft immer weiterentwickelt, müssen wir am Ball bleiben. Aktuell setzen wir uns zum Beispiel dafür ein, dass neue Straftatbestände bezüglich der Manipulation von Bildern geschaffen werden. Dass private Bilder zu pornografischen Zwecken missbraucht werden, hat leider mit den neuen Face-Swap-Apps, mit denen man ganz leicht Gesichter auf andere Körper montieren kann, eine neue Dynamik angenommen. Wann immer solche neuen Tools auftauchen, muss die Justiz reagieren, um auch im Netz einen funktionsfähigen Rechtsstaat aufrechtzuerhalten.

Ein weiterer sehr wichtiger Schritt wäre es, wenn die Anbieter sozialer Netze endlich dazu verpflichtet wären, ihre Nutzer im Zuge einer Strafverfolgung preiszugeben. Es ist ein Unding, dass im Netz viele Dinge toleriert werden, die man im realen Leben nicht gewillt wäre zu akzeptieren. Die Plattformen argumentieren oft, dass ihre Nutzer im Netz anonym bleiben müssen. Wenn ich aber beispielsweise mit dem Auto fahre, bleibe ich auch anonym. Verletze ich aber jemanden bei einem Unfall, kann die Polizei anhand meines Kennzeichens ermitteln, dass ich dafür verantwortlich war. Ein solcher Mechanismus muss auch in den sozialen Netzen möglich sein. Das würde die Strafverfolgung erheblich erleichtern.

 

Inwiefern sind soziale Netze bei allem, was Sie tagtäglich sehen, überhaupt noch ein Gewinn?

Das sind sie definitiv, weil sie umgekehrt Menschen ein Forum bieten, die sonst nicht die Chance gehabt hätten, sichtbar zu werden und ihre Stimme zu erheben. Es ist wichtig, dass es einen niedrigschwelligen Zugang zur öffentlichen Meinungsäußerung gibt. Allerdings haben die sozialen Medien eine unfassbare Macht über unseren gesellschaftlichen Diskurs gewonnen, obwohl sie von privaten und – nicht zu vergessen – profitorientierten Unternehmen gesteuert werden. Bisher ist es so, dass wir deren Bedingungen einfach akzeptieren. Damit akzeptieren wir aber leider auch, dass Straftäter systematisch geschützt werden. In keinem anderen Bereich würde man dulden, dass jemand mit völlig falschen Daten oder erfundenen Identitäten agiert und rechtlich nicht zu belangen ist. Wenn wir dagegen nicht vorgehen, werden immer mehr Menschen Straftaten im Netz als ein Phänomen einordnen, das man einfach wehrlos hinnehmen muss. 

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