Mitgliedertreffen: Das Netzwerk Hauptamtliche Oberbürgermeisterinnen Schleswig-Holstein. In der Mitte: Birte Kruse-Gobrecht. © B. Engel
Zum ersten Mal steht eine Frau an der Spitze der Europäischen Kommission und der Anteil der weiblichen Abgeordneten im Europäischen Parlament ist mit gut 40 Prozent so hoch wie noch nie. In der Kommunalpolitik zeigt sich allerdings quer durch Europa ein völlig anderes Bild. „Es gibt nur wenig Bürgermeisterinnen. Und in keinem europäischen Land ist die Gleichstellung in der Kommunalpolitik erreicht. Vor allem im ländlichen Raum sind Frauen unterrepräsentiert“, sagt Manuela Möller, Direktorin an der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin. Nur 15 Prozent der Rathäuser in Europa werden von einer Frau geführt. In Deutschland sind es mit neun Prozent sogar noch weniger. Spitzenreiter ist Schweden mit 32 Prozent. Warum es so wenig Bürgermeisterinnen gibt und wie ihr Anteil erhöht werden kann, untersuchte das Projekt „Mayoress – Promoting Women in Local Leadership“. Es wurde von der Europäischen Union gefördert und von der EAF koordiniert. Zwei Jahre lang arbeitete die EAF mit Organisationen in Frankreich, Österreich und Polen zusammen. Das Ziel war, Bürgermeisterinnen zu unterstützen, Netzwerke aufzubauen und Erfahrungen auszutauschen.
In Frankreich wurde im Jahr 2000 ein Paritätsgesetz verabschiedet. Es soll Parteien dazu bringen, auf ihren Wahllisten abwechselnd eine Frau und einen Mann aufzustellen. Seitdem ist die Zahl der Bürgermeisterinnen deutlich gestiegen. Insbesondere dort, wo sie nicht direkt gewählt, sondern von der größten Fraktion im Stadtrat aufgestellt werden. Dennoch ist in Frankreich Parität längst nicht erreicht, nur 17 Prozent der Gemeinden über 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner werden von einer Frau geführt. Eine Geschlechterquote gibt es seit 2011 auch in Polen. Auf den Listen für die Wahlen zum europäischen und zum nationalen Parlament sowie zu den kommunalen Vertretungen in der Stadt und auf dem Land muss der Frauenanteil bei mindestens 35 Prozent liegen. Die Effekte sind allerdings viel geringer als in Frankreich. „Es reicht also nicht, nur Quoten einzuführen, um den Frauenanteil zu erhöhen, sondern es braucht einen Kulturwandel und ein anderes Verständnis, wie Frauen und Männer die Gesellschaft gestalten wollen. Das ist eine langsame und mühsame Arbeit“, sagt Manuela Möller.
„Bürgermeisterinnen sind wichtige Multiplikatorinnen und Vorbilder. Sie müssen aber sichtbarer werden, um andere Frauen zu ermutigen, in die Politik zu gehen.“
Manuela Möller
Die Erfahrungen in den Ländern ähneln sich. Bis heute wirken alte Rollenbilder, Männerbünde und Strukturen nach. Als im 19. Jahrhundert die parlamentarischen Demokratien entstanden, geschah das unter dem Ausschluss von Frauen. Eine Frau durfte weder wählen noch ein politisches Amt ausüben oder im Parlament vertreten sein. In manchen Gemeinderäten sitzen bis heute ausschließlich Männer. Ein anderer Grund für den geringen Frauenanteil ist, dass ein Bürgermeisteramt in kleinen ländlichen Gemeinden oft nur ehrenamtlich ausgeübt wird. Das schreckt viele Frauen ab. Denn sie sind mit Beruf, Familie und Sorgearbeit oft so eingespannt, dass sie sich nicht noch ehrenamtlich in der Kommunalpolitik engagieren wollen. Hinzu kommt, dass die Bewerberinnen und Bewerber für das Amt meist von Parteien nominiert und Frauen oft nur dann aufgestellt werden, wenn sich kein Mann gefunden hat. „Doch je stärker ein Amt mit Macht verbunden ist und je attraktiver es ist, desto größer ist die Konkurrenz“, sagt Manuela Möller. Im Wahlkampf sind Frauen zudem viel häufiger mit Widerständen konfrontiert als Männer und ihnen wird aufgrund ihres Geschlechts die Kompetenz abgesprochen. Das erlebt auch Birte Kruse-Gobrecht immer wieder: „Die kann nix. Die macht nix, die bringt uns nix. Ich bin studierte Juristin mit erstem Examen. Ich habe 15 Jahre Verwaltungserfahrung und dennoch wird mir die Kompetenz abgesprochen.“ Sie ist seit 2016 Bürgermeisterin der Stadt Bargteheide in Schleswig-Holstein und stellt sich in einigen Monaten zur Wiederwahl.
Birte Kruse-Gobrecht ist auch Sprecherin des Netzwerkes hauptamtlicher Bürgermeisterinnen und Oberbürgermeisterinnen in Schleswig-Holstein. Ganz bewusst hat sich das Netzwerk am 8. März 2021, am Internationalen Frauentag, konstituiert. Die Gründung wurde durch das Projekt „Mayoress“ angestoßen. „Wir wollen uns damit gegenseitig stärken. Denn an uns werden andere Anforderungen gestellt als an unsere Kollegen. Das Selbstverständnis ist nicht da, dass Frauen solch eine Position bekleiden können. Und wir verstehen uns als Unterstützerinnen untereinander. Gerade wenn die Kritik unsäglich wird und die Tonlagen rauer werden“, sagt die Bürgermeisterin von Bargteheide. Auch ihre Kolleginnen in anderen europäischen Ländern kennen dieses Phänomen. Sie werden beleidigt, angegriffen und bedroht, weil sie Frauen sind. Das Netzwerk wird inzwischen vom Städteverband Schleswig-Holstein und vom Gemeindetag unterstützt und hat eine eigene Geschäftsstelle. „So wird sichergestellt, dass wir dauerhaft bestehen. Wir sind auch eine offizielle Arbeitsgruppe im Städteverband Schleswig-Holstein. Ohne Mayoress wäre uns das nicht gelungen“, sagt Birte Kruse-Gobrecht.
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In Deutschland wurde während des Projektes auch ein Netzwerk in Nordrhein-Westfalen aufgebaut. Weitere entstehen gerade. Sie spielen eine entscheidende Rolle. „Bürgermeisterinnen sind wichtige Multiplikatorinnen und Vorbilder. Sie müssen aber sichtbarer werden, um andere Frauen zu ermutigen, in die Politik zu gehen“, sagt Manuela Möller. Qualifizierte Frauen gibt es schließlich genug. Sie müssen nur gezielt angesprochen und unterstützt werden. Kommunalpolitik wird zwar vor Ort gemacht und die Einflussmöglichkeiten der EU sind begrenzt, aber dennoch kann auf europäischer Ebene viel getan werden. „Wir brauchen mehr Studien und Forschung zu dem Thema, um vergleichen und Vorschläge machen zu können. Und das Thema muss im Ausschuss der Regionen prominenter platziert werden. Wir wollen auch eine Plattform einrichten, damit sich Bürgermeisterinnen national und international online austauschen können. Außerdem müsste es europaweit eine Kampagne für mehr Frauen in Rathäusern geben“, sagt Manuela Möller.