Dieses Haus in der Altmark wurde vor kurzem erfolgreich an neue Besitzer vermittelt. Was es wohl zu erzählen hat? © Luxus der Leere
Während in den Städten der Wohnraum knapp und begehrt ist, lassen sich manche Immobilien auf dem Land nur schwer vermitteln. Häufig sind die Häuser schon älter und sanierungsbedürftig oder stehen mitten im Nirgendwo. Von ihren Eigentümerinnen und Eigentümern beziehungsweise den Gemeinden werden sie oft als Klotz am Bein empfunden. Eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung bezeichnet den Leerstand gerade für den ostdeutschen Wohnungsmarkt als Herausforderung: „Während bundesweit etwas mehr als vier Prozent aller Wohnungen unbewohnt sind, stehen in abgelegenen ländlichen Gebieten und vom Strukturwandel betroffenen Regionen zum Teil mehr als zehn Prozent der Wohnungen leer“, heißt es dort, mancherorts sei geschätzt jede sechste Wohnung unbewohnt. Durch die alternde Bevölkerung könne sich das Problem künftig noch verschärfen. Dabei führten nicht nur sinkende Einwohnerzahlen zu Leerständen – auch in schrumpfenden Gemeinden sei das selbstgebaute Einfamilienhäuschen im Neubaugebiet oft attraktiver als die Renovierung eines älteren leerstehenden Gebäudes im Ortskern.
Zeit also, den Leerstand als Chance zu begreifen. Denn mit ein wenig Fantasie und Abenteuerlust lässt sich darin brachliegendes Potenzial entdecken, das sich entfalten kann, wenn engagierte Beratung, nützliche Kontakte und Erfahrung mit alternativen Wegen der Immobiliennutzung zusammenkommen. Hier stellen wir zwei innovative Netzwerke vor, die sich genau das auf die Fahnen geschrieben haben – und denen es dabei nicht um Profite geht, sondern um eine Wiederbelebung der ländlichen Vielfalt und Kultur. Gemeinsam haben sie die positive Herangehensweise und die Liebe zu ihrer Region.
Die Altmark ist ein ländliches Gebiet im Norden von Sachsen-Anhalt. Während die Kreisstadt Stendal mittlerweile große Anziehungskraft auf großstadtmüde Berlinerinnen und Berliner ausübt, kämpfen einige kleinere Dörfer gegen den Leerstand und brachliegende Flächen. 2018 schlossen sich deshalb sieben Kommunen unter dem Namen „Luxus der Leere“ zusammen, um die entsprechenden Objekte ins rechte Licht zu rücken. Das Ziel: Menschen für die alles andere als perfekten, aber oft historischen und charakterstarken Immobilien zu interessieren. „Unsere Angebote sind oft Liebhaberobjekte, die viel Zuwendung und Ideenreichtum benötigen und dadurch ihren Charme weiterbehalten“, sagt Marco Beiersdörfer von der Verbandsgemeinde Arneburg-Goldbeck (Team Steuerungsunterstützung): „Luxus der Leere soll positiv Verrückte für Land und Leute begeistern.“ Manche der Häuser sehen wie verwunschene Orte aus, und jedes von ihnen hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Damit diese auch gehört werden, wurde eine digitale Plattform entwickelt, auf der verkaufende und suchende Parteien ohne Umwege zueinanderfinden können. Flankiert wird das Ganze von praktischen Informationen zu Beratungsangeboten, Sachverständigen und möglichen Fördermitteln.
Auch die „LeerGut-Agenten“ wollen das kulturelle und soziale Leben im ländlichen Raum stärken, in ihrem Fall: im ländlichen Thüringen. Ihr Netzwerk ist deutlich breiter aufgestellt als bei „Luxus der Leere“, denn für eine gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung wirken hier Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus den Bereichen Architektur und Stadtplanung, aus Projektinitiativen und aus der Verwaltung zusammen. Derzeit sind 45 gelistete aktive LeerGutAgenten und knapp 300 weiteren Personen dabei, die alle in ihrer Region sehr gut vernetzt sind. Als Leerstandslotsinnen und -lotsen unterstützen sie mit ihrem Know-how Menschen, die ein ungenutztes Objekt erwerben oder verkaufen möchten.
„Jedes Objekt hat eine spannende Geschichte und eine gewisse Energie, die damit einhergeht. Das ist für uns oft eine gute Ideenquelle und beflügelt auch die Kreativität der Nutzerinnen und Nutzer.“
Katrin Hitziggrad
Dabei steht immer das Gemeinwohl im Vordergrund, wie Katrin Hitziggrad betont, die für die Koordination des Netzwerks verantwortlich ist: „Das hat für uns verschiedene Komponenten: Wir wollen neue Wohnformen etablieren, Kunst und Kultur einbinden, aber auch auf soziale und ökologische Aspekte achten. Denn wir wollen den Bestand nutzen und Alternativen zu Abriss und Neubau aufzeigen. So werden Ressourcen geschont.“ Um ihre Leistungen bekannt zu machen, setzen die LeerGut-Agenten auf niedrigschwellige Ansätze, wie ihre Idee der „LeerGut-Scheine“ zeigt: Die wurden 2021 erstmals vergeben und berechtigen die Empfänger zu einer kostenlosen Erstberatung durch die Expertinnen und Experten des Netzwerks. Belohnt werden sollten damit besonders Projektinitiativen mit Mehrwertcharakter für den Ort beziehungsweise die Region. Die erfolgreiche Aktion führte zu einem deutlichen Anstieg der Anfragen.
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Neben den genannten Aspekten hat die Gemeinwohlorientierung bei den LeerGutAgenten noch eine weitere Seite: die wirtschaftliche. Natürlich sollen die neuen Eigentümerinnen und Eigentümer, ob Privatpersonen, Vereine, Stiftungen oder ähnliches, bei allem Idealismus kein Verlustgeschäft machen. Daher hat das Netzwerk auch die Zahlen im Blick: „Im Rahmen eines Betreibermodells erarbeiten wir Konzepte, die das Ganze auf so stabile Füße stellen, dass sich so ein Objekt durchaus auch selbst tragen kann“, sagt Katrin Hitziggrad. Wie das funktioniert, zeigen als Best Practice unter anderem der Kulturhof Kleinmecka und das Schloss Tonndorf. Letzteres wird seit Jahren umfassend saniert, um dort eine alternative Wohn-, Arbeits- und Lebensgemeinschaft aufzubauen. Kleinmecka ist ein denkmalgeschützter Bauernhof, der heute durch einen Mix aus Kunst, Musik, Bildung und Begegnung lebendig gehalten und kontinuierlich weiterentwickelt wird. Was die Entwicklungschancen des ländlichen Raums generell betrifft, so spielt nach der Erfahrung von Katrin Hitziggrad auch Digitalisierung eine wichtige Rolle: „Wenn ein Ort mit schnellem Internet ausgerüstet ist, kommt er automatisch für eine größere Vielfalt an Nutzungsmöglichkeiten in Betracht. Unter anderem Coworking-Spaces bieten sich da als Bestandteil eines Mischkonzepts an.“
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