Vereine wie „Wir verbinden Boxberg“ profitieren von den digitalen Mobilitätslösungen, die Match Rider bietet. © Michael Herzog
Wer auf dem Land von A nach B unterwegs ist, sitzt meist allein im eigenen Auto: Der öffentliche Nahverkehr ist oft nur dünn ausgebaut und es ist mühsam, sich mit seinen Nachbarinnen und Nachbarn für gemeinsame Fahrten abzusprechen. Um genau das zu erleichtern, hat Match Rider in den vergangenen Jahren digitale Mobilitätslösungen entwickelt und auf den Markt gebracht. Sie richten sich einerseits an Pendler zur Bildung von Fahrgemeinschaften, andererseits an Bürgerbusvereine, die vielerorts den öffentlichen Nachverkehr ergänzen. Die Apps lassen sich präzise auf die lokalen Angebote anpassen – und machen so Alternativen zum Individualverkehr attraktiver.
Für diese Lösung ist Match Rider vor zwei Jahren beim Wettbewerb Digitale Orte ausgezeichnet worden und konnte auch bei anderen Förderpreisen überzeugen. Darunter der „Landeswettbewerb zur Förderung des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz im ÖPNV Nordrhein-Westfalens“, bei dem das Unternehmen mit einer Idee für den Bürgerbusverein Kreuztal punktete. Wir haben Match Rider-Geschäftsführer Dr. Benedikt Krams nach den Entwicklungen gefragt:
Bei dem Projekt „Flexibilisierung von Gemeinschaftsverkehren“ für den Bürgerbus Kreuztal haben Sie sich mit KI beschäftigt. Was haben Sie entwickelt?
Für den Bürgerbus gibt es in Deutschland nur eine Nische, auch wenn Nordrhein-Westfalen da Vorreiter ist. Deswegen war der Preis für uns ein Zeichen dafür, dass man das Thema ernst nimmt und anerkennt, dass Bürgerbusse eine Komponente im Mobilitätskonzept ländlicher Regionen sein können. Die Vereine stehen aber vor einer Herausforderung: Es gibt vor Ort zwar einen Bedarf, aber zu manchen Zeiten oder auf manchen Linien auch einen Einbruch der Nachfragezahlen. Fährt der Bürgerbus nach Fahrplan, aber leer, bleiben die Vereine auf ihren Spritkosten sitzen. Vor diesem Hintergrund haben wir darüber nachgedacht, wie eine Flexibilisierung das Angebot attraktiver machen könnte: Der Bürgerbus fährt dann auf Anfrage – idealerweise per App –statt zu festen Zeiten. Wir bündeln Fahrten, wenn noch weitere Personen zusteigen möchten. Die Komponente KI kommt ins Spiel, wenn wir darüber hinaus noch die zukünftige Auslastung vorhersagen, um besser planen zu können. Für diese „predictive inference“ schauen wir uns die Daten der Vergangenheit an. Der Clou ist hier, dass man mit diesen Erwartungen arbeiten kann, also zum Beispiel annehmen kann, dass es am Donnerstagnachmittag eine größere Nachfrage gibt.
Was bedeutet das für den Bürgerbus Kreuztal, der ihr Projektpartner ist? Welche digitale Unterstützung nutzt der Verein?
Aktuell nutzt der Verein noch keine der Lösungen, sondern nimmt die Bestellungen per Telefon entgegen. Wir haben aber ein MVP (minimum viable product = erste funktionsfähige Produktvariante) entwickelt und das System im Bürgerbusverein vergangenes Jahr erprobt. Im Oktober gehen wir dann mit einer voll funktionsfähigen Lösung in den Feldtest. Das Buchungssystem wird in Echtzeit – auch während der Fahrten – Daten zu den Bestellungen liefern und die Disposition somit maßgeblich erleichtern. Die ehrenamtlichen Fahrerinnen und Fahrer können dann sehen, wann sie wo eingesetzt werden und wie viele Fahrgäste zu erwarten sind. Die andere Seite ist eine Fahrgast-App, die sicherlich eine größere Umstellung mit sich bringen wird. Weil wir auch mit digital weniger affinen Menschen rechnen, wird es parallel weiterhin die telefonische Buchung geben, die dann jemand über eine einfache Website ins System übertragen muss.
Eine besonders große Hürde ist eine App heute aber wohl nicht mehr: Viele Bürgerbusvereine machen sich mittlerweile Gedanken darüber, welche Apps sie einführen, und vertreten die Meinung, dass auch ältere Menschen digitale Dienste nutzen. Die meisten werden es sicherlich hinbekommen, einen Fahrtwunsch digital einzugeben.
Die Förderung aus NRW bezieht sich explizit auf die exemplarische KI-Anwendung für den Bürgerbusverein Kreuztal. Nützt Ihnen das, was Sie jetzt entwickelt haben, auch in anderen Projekten wie zum Beispiel für die Organisation von Fahrgemeinschaften?
Wir haben die KI-Anwendung noch nicht in diese Lösungen implementiert, aber für lokal organisierte Fahrgemeinschaften – unsere andere wichtige Zielgruppe – ist es natürlich interessant, besser vorhersagen zu können, wo Menschen unterwegs sein werden. Relevant ist die Vorhersage zum Beispiel, wenn es um Großveranstaltungen in einer Region geht. Da gibt es auf jeden Fall Nachfragespitzen. Etwas einfacher sieht es bei großen Unternehmenskunden aus, die uns die Pendlerdaten anonymisiert zur Verfügung stellen können. Mit der Vorhersage könnten wir Fahrgemeinschaftsnetzwerke noch besser und präziser aufbauen.
Welche anderen Entwicklungen verfolgt Match Rider zurzeit?
Wir haben das vergangene Jahr genutzt, um unser Angebot besser zu verknüpfen: Wir bieten demnächst unter einer Plattform alle Lösungen an, das sind insgesamt fünf verschiedene Apps. Die große Gemeinsamkeit, die Botschaft unserer Lösungen ist, dass wir eine Mobilität von unten ermöglichen wollen. Es soll einfach werden, eine Community für gemeinsame Fahrten zu organisieren – DIY („do ist yourself“) ist dabei das Stichwort. Dann kann zum Beispiel der Bürgermeister einer kleinen Kommune ein Mobilitätsangebot initiieren, etwa mit Ehrenamtlichen hinterm Steuer und Fahrgästen, die ihren Bedarf per App melden.
Dass die digitalen Lösungen laufen, ist sicherlich eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung unserer Angebote. Aber konsequent den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, passt zu unseren Werten. Seitdem wir das deutlicher machen, wachsen auch die Anmeldezahlen: Wir bringen Menschen zusammen. Und nebenbei stärken die Angebote den lokalen Zusammenhalt, sparen Geld und tun etwas Gutes für die Umwelt.
Ihre Einschätzung: Gibt es auf dem Land einen Trend von linienbasierten Angeboten mit festen Fahrtzeiten hin zum On-demand-Verkehr? Und welche Art von Unterstützung brauchen solche Konzepte?
On-demand-Verkehre sind schon ein Trend, und der Kundennutzen ist enorm: Es gibt ein Angebot genau dann, wenn man es braucht – Leerfahrten lassen sich vermeiden. Die digitale Technik für die Organisation solcher Konzepte ist auch längst da. Herausfordernd bleibt die langfristige finanzielle Ausstattung der Angebote und bestimmt auch der Fachkräftemangel, wenn die Fahrzeuge nicht ohnehin von Ehrenamtlichen gesteuert werden.
Worauf aber letztlich alle Verkehrsplanerinnen und -planer und die Investoren wetten, ist das autonome Fahren. Sollte sich das in Zukunft einmal durchgesetzt haben, wird es viel mehr On-demand-Verkehre geben. Ob und wann das der Fall sein wird, weiß niemand. Deswegen brauchen wir funktionierende Konzepte, auch Fahrgemeinschaften, für die Zeit bis dahin.
Ihre Prognose für Mobilitätsangebote in ländlichen Regionen?
Ich gehe davon aus, dass wir mit On-demand-Lösungen, aber auch unseren Systemen der „Mobilität von unten“ den ÖPNV sinnvoll ergänzen können. Um die verschiedenen Angebote besser verknüpfen zu können, benötigen wir aber Daten – und da klafft gerade noch eine Lücke. Echtzeitdaten sind für die On-demand-Verkehre unabdingbar: Es ist unser großer Wunsch, diese Lücke zu schließen.
Match Rider bietet digitale Lösungen für Fahrgemeinschaften, insbesondere für Pendlerverkehre, Lösungen für Bürgerbusvereine und allgemein Organisationen, die gemeinschaftliche Fahrten organisieren möchten. Die Dispositions- und Buchungssysteme sind so flexibel, um On-demand-Fahrten zu ermöglichen. Eine KI-Erweiterung sagt außerdem vorher, wann und auf welchen Strecken die Auslastung besonders hoch sein wird. Die Anwendungen sind für lokale Mobilitätsangebote im ländlichen Raum geeignet, aber nicht darauf beschränkt: Sie können auch in größeren Regionen zum Einsatz kommen.