Das Ilzer Land wird als Smart-City-Modellregion gefördert – und die Freude vor Ort ist groß. Vorne in der Mitte: Ringelais Bürgermeisterin Dr. Carolin Pecho, rechts daneben Geschäftsführerin Corina Molz. © ILE Ilzer Land e. V.
Der Bayerische Wald mit dem ältesten Nationalpark Deutschlands ist eines der beliebtesten Reiseziele Deutschlands. Hier, im östlichsten Zipfel Niederbayerns, liegt das ländlich geprägte Ilzer Land, rund 38.000 Menschen leben dort. Doch die Herausforderungen sind groß: Junge Menschen wandern ab und kommen nach ihrer Ausbildung oder dem Studium nicht mehr zurück. Die Bevölkerung schrumpft. Und dann kam auch noch die Pandemie. „Die Ortskerne sterben aus, Corona hat das verstärkt. Geschäfte schließen, es gibt immer mehr Leerstand“, sagt Corina Molz. „Die Digitalisierung bietet da eine Chance. Sie kann einen großen Beitrag dazu leisten, ländliche Räume zu stärken und attraktiver zu machen.“ Molz ist Geschäftsführerin der ILE („Integrierte Ländliche Entwicklung“) Ilzer Land e. V. und zusammen mit Dr. Carolin Pecho, Bürgermeisterin der Gemeinde Ringelai, und Lena Schandra, Projektleiterin, Ansprechpartnerin für das Modellprojekt Smart City in der Region.
Smart City ohne City, mitten auf dem Land? Wie soll das funktionieren? Die Frage hat Corina Molz schon öfter gehört. Tatsächlich sind die Gemeinde Ringelai und das Ilzer Land auch die einzige kleine Gemeinde und der einzige interkommunale Verbund, die das damals noch zuständige Bundesinnenministerium 2021 als Modellprojekt in seine Smart-City-Förderung aufgenommen hat. In dieser dritten Runde, die über fünf Jahre läuft, stehen für die 28 Projekte insgesamt 300 Millionen Euro zur Verfügung. Mittlerweile verantwortet das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen die Förderung. „Wir haben uns 2019 das erste Mal als Smart City beworben. Wir wollten als Vorbild für andere ländliche Räume vorangehen“, erinnert sich Molz. „Das hat nicht geklappt. 2020 sind wir erneut gescheitert – und haben entschieden: Aller guten Dinge sind drei. Wir bewerben uns nochmal. Weil uns die Digitalisierung einfach ein großes Anliegen ist.“ Die Ausdauer hat sich gelohnt: Seit Anfang 2022 werden Ringelai und das Ilzer Land nun offiziell vom Bund unterstützt. Und profitieren vom Austausch mit anderen Modellprojekten – auch wenn sich die Konzepte aus der Stadt nicht 1:1 auf den ländlichen Raum übertragen lassen, wie Molz anmerkt: „Wir müssen das immer für die Smarte Region anpassen. Trotzdem ist der Austausch in dem Netzwerk sehr hilfreich. Wir lernen so viele Akteure kennen, die selbst schon eine Vorreiterrolle innehaben.“
„Als Region wird man um das Thema Digitalisierung nicht drum herumkommen, wenn man wettbewerbsfähig bleiben will. Wir wollen daher jetzt das Beste daraus machen.“
Corina Molz
Derzeit läuft in der Region die Strategiephase. In allen elf beteiligten Gemeinden finden daher demnächst Workshops mit Gemeindegremien, Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen und Unternehmen statt. Dabei soll festgelegt werden, wohin die Digitalisierungsreise führt und welche Ideen wo und wie verwirklicht werden können. Ideen für die Smart City im ländlichen Raum gibt es schließlich schon einige – digitale, interaktive Anschlagtafeln zum Beispiel, neue Modelle für die Bürgerbeteiligung, eine zentrale Informationsplattform oder ein hybrider Wochenmarkt zur Stärkung der regionalen Wertschöpfung. In einer zweiten Workshopreihe sollen außerdem geeignete gemeindeübergreifende Maßnahmen beschlossen werden. Denn der interkommunale Gedanke spielt im Ilzer Land eine große Rolle – man will kooperieren und Synergien nutzen, statt lediglich Einzelmaßnahmen in den einzelnen Gemeinden auszurollen. Das Jugend- und das Seniorennetzwerk, die Beauftragten für Menschen mit Handicap, ein Ökonetzwerk, Unternehmen und Start-ups, außerdem Partner wie die „Genussregion Niederbayern“, ein nahgelegener Technologiecampus sowie die Universität Passau sind nur einige der Partner, die an dem Prozess beteiligt sind und die Smart-City-Idee mittragen.
„Wir wollen alle gesellschaftlichen Gruppen erreichen und für die Chancen der Digitalisierung sensibilisieren. Für den Projekterfolg ist es entscheidend, dass alle mit im Boot sitzen. Das kann auch die Akzeptanz verbessern“, sagt Corina Molz. Dafür geht man da hin, wo die Menschen sind: Ein Bus soll zum Beispiel die Gemeinden ansteuern und mit 3-D-Druckern und VR-Brillen das Thema spielerisch vermitteln. Die Schulen sind eingebunden. Und in der Bürgerbeteiligung setzt man auf hybride Formate – also die Verbindung von digital und analog, on- und offline. Konkret sieht das dann etwa so aus: Ist ein Spielplatzumbau geplant, können sich die Bürgerinnen und Bürger über die Online-Beteiligungsplattform einbringen. Darauf hingewiesen werden sie im echten Leben, nämlich über einen QR-Code auf dem Spielplatz, der umgebaut werden soll. „Wenn alles digital passiert, ist das auch nicht der beste Weg“, so Molz. „Weil dann der zwischenmenschliche Kontakt verloren geht. Das ist ja das, was den ländlichen Raum auszeichnet. Hier kennt man sich, hier trifft man sich vor Ort, die Vereine engagieren sich. Das wollen wir auf keinen Fall verlieren.“ Deshalb soll auch in der Umsetzung der hybride Ansatz gestärkt werden und die Digitalisierung dazu beitragen, das Miteinander zu verbessern. Ein Beispiel dafür ist das IT-Paten-Projekt: Dabei werden Seniorinnen und Senioren beim gemeinsamen Nachmittagskaffee im Umgang mit Smartphone, Tablet und Co. unterstützt, sodass sie sich künftig auch digital austauschen können.
Hinter all dem steht eine Vision: dass das Ilzer Land eine attraktive Region bleibt. Was das konkret bedeutet, kann Corina Molz direkt aufzählen: „Dass das gesellschaftliche Leben nach Corona wieder in Schwung kommt, die Menschen zusammenstehen, sich gegenseitig helfen, die Daseinsvorsorge gewährleistet ist und die Dorfkerne belebt sind. Dass die Abwanderung junger, gebildeter Gruppen zurückgeht und wir vielleicht sogar Start-ups aus dem Digitalbereich ansiedeln können.“ Ein digitaler Dorfladen, der die Grundversorgung in kleineren Gemeinden sichert, oder Coworking-Spaces, die mobiles Arbeiten und Netzwerken verbinden – damit auch Unternehmen als Arbeitgeber in Frage kommen, die ihren Sitz nicht direkt im Ilzer Land haben: Das sind nur zwei Beispiele, wie das klappen könnte. „Die Digitalisierung führt dazu, dass sich die Vorteile von Stadt und Land verbinden lassen“, ist Molz überzeugt. Die Natur, Raum für Familien, bezahlbare Grundstückspreise: all das sind Faktoren, die Abwanderer wieder zurücklocken könnten. Nicht aufgeben, sei dabei ihre wichtigste Erfahrung aus dem bisherigen Prozess, Geduld haben, wenn sich nicht alles gleichzeitig anpacken lässt. „Als Region wird man um das Thema Digitalisierung nicht drum herumkommen, wenn man wettbewerbsfähig bleiben will. Wir wollen daher jetzt das Beste daraus machen. So haben wir die Chance, die Dinge aktiv so zu gestalten, wie wir sie haben wollen“, sagt Corina Molz. Im ländlichen Raum sei die Digitalisierung fast noch wichtiger als in den Städten. „In den Städten hat man sämtliche Angebote vor Ort, kann überall hingehen. Hier hat man viele Angebote nicht. Digitalisierung ist der Weg, das zu ändern.“
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