Im Team des Trauerchats engagieren sich junge Menschen, die mit ihrer eigenen Trauererfahrung Jugendliche und junge Erwachsene in ihrem Trauerprozess unterstützen. © Maria Riederer
Wenn junge Menschen trauern, wissen sie oft nicht, wohin mit ihren Gefühlen. Diese Erfahrung machte Romy Kohler nach dem Tod ihres Sohnes im Jahr 2003. Eine Beratungs- oder Selbsthilfegruppe kam für seine Freunde nicht infrage. Romy Kohler fand im Internet einen Chat für trauernde Jugendliche. Dort fühlten sich die Freunde ihres Sohnes gut aufgehoben. So entstand die Idee, selbst einen Chat zu initiieren. 2009 geht „Doch etwas bleibt“ an den Start, angegliedert an den Hospizverein Bedburg Bergheim Elsdorf e.V., wo Kohler damals als Koordinatorin arbeitet. Das Besondere: Die Chatbegleiter:innen sind keine professionellen Psycholog:innen oder Therapeut:innen, sondern ebenfalls junge Erwachsene, die, genau wie die trauernden Jugendlichen, bereits einen nahestehenden Menschen verloren haben. Als Romy Kohler Ende 2020 in den Ruhestand geht, übernimmt Maria Riederer die Aufgaben von Kohler – und damit auch den Trauerchat.
Frau Riederer, können Sie kurz beschreiben, wie der Chat funktioniert?
Trauernde Jugendliche können sich über die Website mit einem Nickname für den Chatroom registrieren. Dieser ist jede Woche montags von 20 bis 22 Uhr geöffnet. Dort warten drei Chatbegleiter:innen, die ihre eigenen Erfahrungen nutzen, um andere nach dem Verlust eines nahen Menschen zu unterstützen. Meist befinden sich an einem Abend zwischen drei und zehn User:innen im Chat. Manche kommen zwei- bis dreimal, andere über einen längeren Zeitraum jede Woche.
Was denken Sie, sind die Gründe dafür, dass Jugendliche auf den digitalen Trauerchat zurückgreifen und nicht spezielle Trauergruppen für Kinder und Jugendliche aufsuchen?
Die Hemmschwelle, in einer Trauergruppe anderen direkt zu begegnen, ist für junge Menschen oft groß. Viele können sich das in der akuten Trauer nicht vorstellen. Die erste Hürde: Man muss irgendwo anrufen und sich anmelden, man muss ein Vorgespräch führen. Beim Trauerchat kann man einfach zu Hause bleiben, sich einloggen und schauen, was passiert. Man muss nichts planen, alles ist anonym. Gerade neue User und Userinnen sind oft zurückhaltend: Sie schreiben, warum sie im Chat sind, und dass sie erst einmal nur mitlesen möchten. Jede:r kann das machen, wie sie oder er möchte – und sich auch jederzeit innerhalb dieser zwei Stunden ein- und ausloggen. Das gibt eine große Freiheit.
Existieren in Deutschland überhaupt flächendeckend physische Trauergruppen für junge Menschen?
Gute Ansprechpartner sind dafür die Kinder- und Jugendhospizvereine, die auch mit trauernden Kindern und Jugendlichen arbeiten. In vielen großen Städten gibt es außerdem spezielle Angebote für trauernde Kinder und junge Menschen. Auf dem Land ist es schwieriger, das richtige Angebot zu finden: Unser Hospizbüro ist zum Beispiel in Bergheim und hat einen großen Einzugsbereich. Wenn uns bei unserer Tätigkeit Familien mit Kindern und Jugendlichen begegnen, müssen wir sie entweder nach Köln oder Erftstadt schicken. Ohne Auto ist beides weit. Mit Bus und Bahn dorthin zu kommen, ist auch nicht einfach. Den Trauerchat kann man von überall her erreichen, mit ein paar Klicks ist man drin.
Es gib den Chat bereits seit 2009. Seitdem ist die Digitalisierung weiter voranageschritten. Wie hat das den Chat verändert?
Den Chat an sich hat das nicht verändert. Aber wir fragen uns aktuell, ob wir unser Format für das Smartphone oder Tablet anpassen müssen. Der Chat, so wie er jetzt läuft, funktioniert am besten mit dem Laptop. Ansonsten verliert man leicht den Überblick, wenn mehrere Personen gleichzeitig und schnell im virtuellen Raum schreiben. Früher war es normal, dass alle an ihrem großen Bildschirm sitzen. Heute nutzen junge Menschen überwiegend ihr Handy. Dazu machen wir uns gerade Gedanken, recherchieren und haben uns vorgenommen, zum Beispiel in den Schulen nachzufragen, wie unsere Zielgruppe unser Angebot am liebsten nutzen würde.
Sie sind auch auf Instagram, Facebook und YouTube präsent. Welche Rolle spielen die Sozialen Medien für den Trauerchat?
Es ist auf jeden Fall unser Ziel, über Instagram und Co. bei unserer Zielgruppe sichtbar zu sein – wir finden darüber auch neue Chatbegleiter:innen. Was uns darüber hinaus wichtig ist: Wir möchten in den Sozialen Medien auch Botschafter für die Themen Tod und Trauer sein. Insgesamt sind die Wege, wie Menschen zu uns finden, ganz unterschiedlich: mal ist es ein Hinweis vom Bestatter, mal vom Arzt, mal ist es Social Media. Unsere Chatbegleiterinnen und -begleiter finden wir teilweise auch ganz klassisch über Aushänge an den Universitäten.
Worin liegen die Herausforderungen, Menschen digital in ihrer Trauer zu begleiten?
Wenn ich Menschen gegenübersitze, sehe ich ihre Mimik, ihre Blicke und Gesten. Ich höre ihre Stimme und kann beobachten, wie sie auf bestimmte Themen reagieren, an welchen Stellen sie zum Beispiel besonders traurig werden oder auch anfangen zu strahlen. Das alles ist in der schriftlichen Form nicht möglich. Zu spüren, wie es den anderen geht, kann im Chat nur über den Text passieren. Das ist für die Chatbegleiter:innen auf jeden Fall eine Herausforderung. Und für die Userinnen und User ist es eine Herausforderung, schriftlich wiederzugeben, was sie fühlen. Manche können das sehr gut, für andere ist das viel schwieriger. Deshalb weisen wir im Chat immer wieder darauf hin, dass es auch andere Angebote gibt. Menschen sind einfach unterschiedlich gestrickt.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie von den Teilnehmer:innen?
Viele empfinden unser Angebot als hilfreich, weil sie sonst nicht so viel Gehör finden. Sie sind froh, dass sie anderen begegnen – auch wenn es nur im virtuellen Raum ist –, die auch Erfahrung mit Trauer gemacht haben. Sie mögen die Regelmäßigkeit, die Zuverlässigkeit, und dass die Chatbegleiter:innen immer auf alle eingehen. Es kommt wirklich nur ganz selten vor, dass User:innen das Gefühl vermitteln, dass sie im Chat nicht das bekommen, was sie brauchen. Manchmal merken die Chatbegleiter:innen, dass für diese Personen so ein Chatroom ungeeignet ist, und sie ganz klar Einzelgespräche bräuchten. Das können drei Chatbegleiter:innen für durchschnittlich fünf trauernde Menschen nicht ununterbrochen leisten. Solche Fälle – oder wenn es sehr spezielle Geschichten gibt –, besprechen wir in regelmäßig stattfindenden Supervisionen. Generell ist es uns sehr wichtig, dass sich das Team regelmäßig real trifft. Dafür bieten wir nicht nur die Supervisionen an, sondern weitere Teamtreffen. Einmal im Jahr kommen die Chatbegleiterinnen und -begleiter für ein ganzes Wochenende zusammen. So schaffen wir es immer wieder, dass unsere Teams eng zusammenwachsen, mit ganz viel Aufmerksamkeit auch füreinander und die jeweiligen Themen. Jede einzelne Person bei uns bringt ja ihre ganz persönliche Trauererfahrung mit.