Sozio-assistive Roboter wie Pepper können das Wohlbefinden steigern. © Entrance Robotics GmbH
Falls noch jemand am Fachkräftemangel in der Pflege gezweifelt haben sollte: „Infolge der Alterung der Gesellschaft werden in Deutschland bis zum Jahr 2049 voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen“, bestätigte das Statistische Bundesamt im Januar 2024. Dabei kommt besonders zum Tragen, dass sich die Schere zwischen dem steigenden Pflegebedarf und der tatsächlichen Zahl an Pflegekräften immer weiter öffnet.
Der Trend ist nicht neu – und die Branche sucht seit Längerem tragfähige Lösungen. So gibt es einerseits Bestrebungen, verstärkt Fachkräfte im Ausland zu rekrutieren. Andere Ansätze konzentrieren sich auf neue Technologien: Krankenhäuser, Altenheime und Pflegedienste testen, wie sie ihr Personal mit Robotern, Exoskeletten oder digitalen Assistenzsystemen entlasten können. Die meisten dieser Projekte sind in Deutschland noch im Versuchsstadium und längst nicht flächendeckend einsatzfähig. Und doch könnten sie einen Ausblick in eine Zukunft geben, in der technische Systeme die zwischenmenschliche Interaktion in der Pflege ergänzen. Ein Vorbild ist dabei Japan, das „angesichts seiner rasant alternden Gesellschaft bei der Pflege verstärkt auf Roboter und künstliche Intelligenz“ setzt, wie das Ärzteblatt bereits 2019 die Entwicklung zusammenfasste.
Roboter sind noch eher selten in deutschen Einrichtungen vertreten. Die Gründe: Die Systeme sind recht teuer, befinden sich meist noch im Versuchsstadium und müssen erst einmal in den Pflegealltag integriert werden. Vor allem zwei Anwendungen für Kollege Roboter liegen nahe: im Servicebereich und bei der sozialen Interaktion. So überzeugte beispielsweise der freundlich blickende humanoide Roboter „Pepper“ bereits einige Pflegeeinrichtungen. In einem Video des Anbieters Entrance Robotics/United Robotics Group ist zu sehen, wie sich der Roboter mit älteren Menschen unterhält, sie zum Lachen bringt, Übungen vorturnt oder Spiele spielt. „Besonders gut an Pepper gefällt mir, dass er positiv auf das Wohlbefinden der Bewohner und deren Lebensqualität wirkt und dass man ihn sowohl in der Einzelbetreuung als auch in Gruppenangeboten einsetzen kann“, sagt Laura Wahl, die das Projekt für die DRK Seniorenzentren in Fulda begleitet.
Im Servicebereich punktet zum Beispiel der Roboter Jeeves: Auf der nuklearmedizinischen Therapiestation des Münchner Klinikums nahm er bis 2023 im Testbetrieb Bestellungen der Patient:innen entgegen und lieferte direkt an die Zimmertür. Für die Serviceanfragen nutzen die Patient:innen eine Smartphone-App. Jeeves gehört zum BMBF-geförderten Verbundforschungsprojekt REsPonSe, an dem unter anderem das LMU Klinikum und die Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie die Unternehmen Cliniserve und Robotise beteiligt sind. „Neue Technologien und die Robotik miteinander zu verbinden, ist in Zeiten des Pflegenotstands für unsere Station eine hilfreiche Unterstützung“, sagt die Leiterin der Station Judith Kammer dem Eichstätter Journal. „Das gibt uns die Möglichkeit, uns auf pflegerische Tätigkeiten zu konzentrieren.“
Ein wahrer Tausendsassa ist der Assistenz-Roboter GARMI, eine Entwicklung der Technischen Universität München. In ihm steckt neben Robotertechnologie ein digitaler Zwilling und künstliche Intelligenz – außerdem hat er menschenähnliche Hände. Der Pflegeassistent versteht einzelne Sprachbefehle und kann pflegerische Aufgaben übernehmen, also zum Beispiel das Frühstück ans Bett bringen, Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten vermitteln, telemedizinische Untersuchungen ermöglichen oder bei Reha-Übungen unterstützen.
„GARMI ist nun in der Lage, diverse Einzelfähigkeiten, die wir ihm in den letzten Jahren beigebracht haben, sicher und auf Zuruf über ChatGPT auszuführen“, erläutert der Leiter des Geriatronik-Projekts Dr.-Ing. Abdeldjallil Naceri. Der Forscher vergleicht die Innovationen im GARMI mit Entwicklungen im autonomen Fahren: „Bis eine neue Funktion wie etwa die autonome Einparkhilfe in einem Fahrzeug zur Verfügung steht, sind viele Entwicklungsschritte nötig. Ähnlich wie in der Pflegerobotik muss die Technologie absolut zuverlässig und sicher sein, da sie im Umfeld mit Menschen eingesetzt wird.“
GARMI wird derzeit in einer Musterwohnung in Garmisch-Partenkirchen eingesetzt und weiterentwickelt. Bis der Assistent in Pflegeheimen zum Einsatz kommt, werden nach Einschätzung der Forschung allerdings noch einige Jahre vergehen.
Pflegekräfte müssen Patient:innen heben, sich häufig über Betten beugen oder Lasten tragen: Das kann zu Rückenbeschwerden führen und verstärkt – wenn deswegen Personal ausfällt – den Fachkräftemangel. Hier Entlastung zu schaffen, ist für Einrichtungen im Pflegebereich besonders wichtig. Eine Möglichkeit sind so genannte Exoskelette. Pflegekräfte schnallen sich die Apparate um Rücken, Beine und Arme – und lassen sich beim Heben unterstützen.
Als erster Klinikverbund in Bayern haben jüngst die RoMed-Kliniken im Landkreis Rosenheim solche Exoskelette angeschafft. Das Modell Apogee+ des Robotik-Unternehmens German Bionic soll den Rücken um bis zu 36 Kilogramm entlasten und damit den Arbeitsalltag erleichtern. Denn Patient:innen aus Betten in Rollstühle zu heben, sie umzulagern oder in eine aufrechte Position zu bringen, belastet dauerhaft den Rücken.
„Unsere Pflegekräfte müssen oft in vorgebeugten Zwangshaltungen arbeiten, wie zum Beispiel bei der Wundversorgung. Diese Positionen sind meistens unergonomisch“, erklärt die Judith Hantl-Merget, Pflegedirektorin und Prokuristin der RoMed Kliniken. „Das Exoskelett bietet auch in solchen Situationen durch seinen Gegenkraft-Modus eine wertvolle Unterstützung.“
Neben Robotern, die im Pflegebereich Aufgaben übernehmen, gibt es eine weitere spannende Entwicklung: Systeme, die über Sensor oder Kamera Patient:innendaten erheben, sie per KI auswerten und so das Pflegepersonal unterstützen. Solche Technologien gibt es bereits in Japan, doch auch in Deutschland stoßen die Möglichkeiten des Ambient Assisted Living (AAI) auf Interesse. AAI-Systeme helfen älteren, motorisch eingeschränkten oder kranken Menschen, ihren Alltag inner- und außerhalb der eigenen vier Wände zu meistern. Das bekannteste Beispiel aus diesem Bereich ist der Hausnotruf, moderne Systeme nutzen jedoch Sensoren. Die Evangelische Heimstiftung (EHS) in Baden-Württemberg nennt ihr Konzept ALADIEN – Alltagsunterstützende Assistenzsysteme mit Dienstleistungen – und setzt es in ambulant betreuten Wohngemeinschaften sowie im betreuten Wohnen ein. Dort erkennt ein Interaktivitätsmelder, wenn sich eine Person ungewöhnlich lange nicht bewegt, und meldet dies an Angehörige oder Pflegekräfte weiter. Sensoren erkennen auch Gefahren wie zum Beispiel einen versehentlich nicht abgeschalteten Herd und erleichtern den Alltag der Bewohner, die Jalousien oder die Beleuchtung bequem fernsteuern können. Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der EHS, sieht die Vorteile des Systems: „Menschen möchten möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit verbleiben. Wir möchten, dass sie dort sicher sind. ALADIEN macht beides möglich, indem der Übergang in stationäre Settings – also im klassischen Pflegeheim – verzögert oder sogar verhindert.“
Mit Patient:innendaten arbeitet auch eines der Finalisten-Projekte des Wettbewerbs Digitale Orte aus dem vergangenen Jahr: Die GWA Hygiene GmbH entwickelte zum Beispiel einen ZonenSensor, der Prozesse in Pflege- und medizinischen Einrichtungen überwacht und so zur Patientensicherheit beiträgt. Darüber hinaus nutzt das Unternehmen ein System zum Tracking von Blutkulturen, um Blutvergiftungen schneller diagnostizieren zu können. Beide Anwendungen sollen Pflegekräfte entlasten. „Es braucht zwingend Arbeitserleichterungen für das noch vorhandene Klinikpersonal, um die Qualitätsstandards in der Patientenversorgung aufrechtzuerhalten“, sagt Toralf Schnell, Chief Market Management Officer bei GWA Hygiene.
Das Wort Roboter ist etwas mehr als 100 Jahre alt: Der tschechische Künstler Josef Čapek nutzte eine Bezeichnung für „Zwangsarbeit“ für die damals in Film, Literatur und Kultur populären „Mensch-Maschinen“. Zuvor war eher der Begriff „Automat“ gebräuchlich.
Heute kennen wir nicht nur humanoide oder Tieren nachempfundene Roboter, sondern auch Industrieroboter, die in der Fertigung eingesetzt werden. Es gibt verschiedene Definitionen, die meisten verstehen unter einem Roboter aber ein Gerät, das programmierbar ist, Bewegungen ausführen kann und über mehrere frei bewegliche Achsen verfügt.