Rund 17.000 Menschen leben in der saarländischen Gemeinde Wadgassen. Das Foto zeigt eine nächtliche Ansicht des Ortsteils Differten. © Ilka Angster Photography
Wie viele Kinder werden in sechs Jahren eingeschult? Wie entwickelt sich die Einwohnerzahl? Wie viele Beschäftigte in der Verwaltung gehen demnächst in den Ruhestand? Um Entscheidungen zu treffen und für die Zukunft zu planen, brauchen Städte und Dörfer diese Informationen. Daten, die darauf eine Antwort geben, liegen in den Kommunalverwaltungen meist vor, werden aber zu wenig genutzt und sind nicht für alle Abteilungen verfügbar. „Im Grunde sind sie versteckt, weil sie in Datensilos vorhanden sind. Deshalb werden viele Entscheidungen zu spät oder auf falschen Grundlagen getroffen. Das wollte ich ändern und habe vor vier Jahren Polyteia gegründet“, sagt Geschäftsführer Faruk Tuncer.
„Wir machen die Verwaltungen handlungsfähiger und effizienter. Das ist angesichts des Fachkräftemangels und der großen Verrentungswelle, die jetzt droht, enorm wichtig.“
Faruk Tuncer
Die Realität in den Amtsstuben der über 10.000 Kommunen in Deutschland sieht meist so aus: Beschäftigte der Finanz-, Personal- oder Bauverwaltung speichern ihre Daten an verschiedenen Orten ab, auf die nur eine kleine Gruppe zugreifen kann. Das wird als Datensilo bezeichnet. Wenn Vorlagen für die Entscheiderinnen und Entscheider vorbereitet werden sollen, müssen die Daten mühselig von verschiedenen Stellen zusammentragen werden. Dann fügen die Beschäftigten sie in Word-Dateien oder Excel-Tabellen ein. „Das erfolgt manuell, ist äußerst fehleranfällig, dauert sehr lange und ist frustrierend“, sagt Faruk Tuncer. Hier setzt sein Geschäftsmodell an: „Wir holen die Daten aus den Silos raus, transformieren und bereinigen sie, führen sie zusammen und machen sie auf unserer Plattform zugänglich.“ So können Bürgermeisterinnen und Bürgermeister oder die Ratsmitglieder jederzeit per Mausklick auf tagesaktuelle Daten aus dem Melde-, Geburten- oder Gewerberegister zugreifen. Und frühzeitig reagieren: Zum Beispiel, wenn sie sehen, dass der Zuzug in einem Ortsteil viel größer ist als in anderen Ortsteilen. Oder dass in ihrer Gemeinde mehr Kinder zur Welt kommen als in den Jahren zuvor.
Polyteia bietet für Kommunen bisher vier verschiedene Module an: für die Bereiche Kindertagesbetreuung, Schule, Demografie und Personal. Damit lässt sich unter anderem verfolgen, wie sich die Einwohnerschaft oder der Krankenstand in der Verwaltung verändert, ob Führungspositionen zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt sind oder ob Maßnahmen der Wirtschaftsförderung tatsächlich greifen. Mehr Durchblick und Überblick – das sind die Vorteile für die Kommunen. Mit dem bestehenden Personal können sie so viel mehr erreichen. „Probleme und Herausforderungen lassen sich früher vorhersehen und die Leistungen schneller und besser organisieren. Wir machen die Verwaltungen handlungsfähiger und effizienter. Das ist angesichts des Fachkräftemangels und der großen Verrentungswelle, die jetzt droht, enorm wichtig“, sagt Faruk Tuncer. „Aber wir sind keine Lösung, um Personal zu entlassen und einzusparen.“
Seit zwei Jahren nutzt die saarländische Gemeinde Wadgassen die Plattform. Bürgermeister Sebastian Greiber ist begeistert. „Die Mitarbeitenden können die Arbeitszeit in sinnvolle und wertschaffende Dinge investieren. Das erhöht nicht nur die Effektivität, sondern macht den Arbeitsplatz auch wieder attraktiver und modern. Und solche Arbeitsplätze brauchen wir, um als Arbeitgeber für junge Talente im öffentlichen Dienst attraktiv zu sein“, sagt der Bürgermeister. Anfang 2020 wurde er auf Polyteia aufmerksam und erkannte schnell das Potenzial für die Verwaltung. Gemeinsam mit vier anderen Kommunen startete wenige Monate später ein Pilotprojekt. Wadgassen nutzt bisher die Demografie-Lösung von Polyteia. Sie hat sich bewährt. „Wir hatten anhand der aktuellen Demografie-Auswertungen schon frühzeitig die Prognose, dass wir 2022 aufgrund der steigenden Geburtenzahlen mit einer deutlich stärkeren Nachfrage in den Kitas rechnen müssen. Durch diesen Zeit- und Wissensvorsprung konnten wir frühzeitig in die Planung für den Kita-Ausbau einsteigen und haben für alle Kinder einen Platz in unseren Kitas“, erzählt Sebastian Greiber. Seit Juli 2022 steht die Plattform allen Gemeinden, Städten und Landkreisen im Saarland zur Verfügung. „Das ist ein Novum. Der Kreis oder das Land können die Daten der einzelnen Kommunen nutzen. Auch die Auswertung erfolgt einheitlich. Das Saarland ist ein ideales Testfeld“, sagt Faruk Tuncer.
Die Form der Zusammenarbeit wird sich ändern und die Kommunen müssen mehr miteinander kooperieren, da ist er sich sicher. Bisher nutzen Gemeinden, Kreise und Länder ihre eigene Software und haben eigene IT-Dienstleister. Viele Informationen sind oft xmal vorhanden. „Es kann aber sinnvoll sein, ein System einzuführen, das der Nachbar auch hat. Weil es skalierbar ist“, sagt Faruk Tuncer. Davon würden auch die Bürgerinnen und Bürger profitieren. Schließlich sind sie darauf angewiesen, dass es ausreichend Plätze in der Kita, Schule, im Pflegeheim oder im Krankenhaus gibt.