Junge Menschen entwickeln beim Planathon „Jugend gestaltet Strukturwandel“ in Halle Visionen für alte Tagebauflächen, © JugendPolitikBeratung, Leuphana Universität Lüneburg
„Ich halte zu meiner Region. Und möchte sie gestalten“, sagt die 16-jährige Lea. Sie wohnt im brandenburgischen Calau, nicht weit vom Tagebaugebiet entfernt. Mit dem Abbau von Braunkohle wird dort bald Schluss sein, vielleicht schon 2030. Wie geht es danach weiter – und wie sieht unsere Zukunft aus? Das fragen sich viele junge Menschen in den drei deutschen Kohleregionen, dem Lausitzer, dem Mitteldeutschen und dem Rheinischen Revier. Sie wollen, so wie Lea, den Wandel aktiv mitgestalten und nicht, dass einfach über ihre Köpfe hinweg entschieden wird – und sie machen mit beim Planathon „Jugend gestaltet Strukturwandel“, einem neuen Beteiligungsformat im Rahmen des Forschungsprojekts JugendPolitikBeratung der Leuphana Universität Lüneburg. Ein Team um Professor Waldemar Stange unterstützt die jungen Leute. „Wir wollen natürlich, dass die Vorschläge auch die Politik erreichen. So etwas muss Folgen haben. Ansonsten machen die jungen Leute einmal mit und dann nie wieder“, sagt er.
Im November 2021 haben sich etwa 40 Jugendliche und junge Erwachsene aus Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt zu einem sogenannten Planathon in Halle (Saale) getroffen und drei Tage lang darüber diskutiert, wie die Zukunft in den Kohleregionen aussehen könnte. Auf einer „Motzmauer“ haben sie festgehalten, was ihrer Meinung nach bisher schief läuft: zu viel Bürokratie, zu wenig Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und vor allem zu wenig Digitalisierung. Die ist ihnen besonders wichtig, um Menschen zum Bleiben, zur Rückkehr oder zum Zuzug zu bewegen. Zum Beispiel will niemand 30 Kilometer in die nächste Kreisstadt fahren müssen, um einen Ausweis zu beantragen, sondern das online von zuhause aus machen. „Ein Bus morgens zur Schule und am Nachmittag zurück, das kann es auch nicht sein“, so ein Teilnehmer. Zur Verbesserung des Angebots empfehlen die jungen Leute WLAN in jedem Bus. Und länderübergreifende Verbünde: So könnte ein Lausitz-Mobil in der Region zwischen den Bundesländern Brandenburg und Sachsen pendeln und über eine App gebucht und bezahlt werden. Die App soll auch über Abfahrtszeiten, Haltestellen oder Auslastung informieren.
„Wenn man auf dieses Potenzial verzichtet, ist man nicht gut beraten.“
Professor Waldemar Stange
Mehr als 600 Ideen sind beim Planathon entstanden – darunter etwa der Vorschlag für Revier-Portale, auf denen alle wichtigen Informationen wie Wirtschafts- und Geodaten zum Abbaugebiet gesammelt werden und die für alle Menschen und Unternehmen zugänglich sind. Netzwerke für Open-Source-Angebote, Online-Weiterbildungen und digitale Nachhilfe zählen ebenso zu den Ideen wie E-Commerce-Dörfer und die Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstituten und Schulen in den Bereichen Bioinformatik und Künstliche Intelligenz. Auch die Nutzung der „Floating Photovoltaik“ ist ein Vorschlag: Schwimmende Plattformen in den gefluteten Tagebauen sollen mit Solarmodulen ausgestattet werden und Strom liefern. Kohlekraftwerke könnten zu Wärmespeicherkraftwerken umgebaut werden. Und es sollen digitale Netzwerke für Commons-Initiativen, Begegnungsstätten und Jugendzentren entstehen. „Die Jugendlichen haben ihrer Fantasie freien Lauf gelassen und ganz fundierte und realistische Ideen entwickelt, die man auch umsetzen kann. Wenn man auf dieses Potenzial verzichtet, ist man nicht gut beraten“, sagt Stange.
Die Politik hat inzwischen verstanden, dass junge Menschen gehört werden und mitentscheiden wollen. Deshalb waren Vertreterinnen und Vertreter aus den Bundesministerien für Jugend, Umwelt, Wirtschaft, Finanzen und Landwirtschaft sowie der Länder Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Sachsen zum Planathon nach Halle gekommen. Doch was wird aus den Vorschlägen? Sie wurden zunächst in 19 Projektskizzen zusammengefasst. Professor Waldemar Stange erklärt: „Wichtig ist nun, dass die jungen Leute die Ideen auf einige zentrale Forderungen fokussieren, die in ein Jugend-Gutachten einfließen.“ Dazu hat sich ein Redaktionsteam zusammengefunden. Die Vorschläge werden mit bestehenden Gesetzen abgeglichen, danach wird das Jugend-Gutachten geschrieben. Über Online-Tools tauschen sich die jungen Redakteurinnen und Redakteure dazu aus. 2022 soll das Gutachten den zuständigen Stellen auf Bundes- und Länderebene übergeben werden. Außerdem sind weitere Veranstaltungen geplant sowie eine Internetplattform, um sich zu vernetzen und Gleichaltrige zum Mitmachen zu ermutigen.
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