Zum Sortiment von Emma’s Tag & Nacht Markt gehören viele frische Produkte aus der Region. © Emma’s Tag & Nacht Markt
Wenn am Sonntag die Milch für den Frühstückskaffee fehlt oder spontan Besuch zum Abendessen kommt, können die Menschen in Altengottern schnell Nachschub besorgen. Denn ihr digitaler Dorfladen ist rund um die Uhr geöffnet. Jeden Tag. Ladenschluss? Gibt es nicht. Und auch kein Personal. Wer in „Emma’s Tag & Nacht Markt“ in Altengottern einkaufen möchte, braucht lediglich eine Kundenkarte und einen PIN, um damit die Tür zu öffnen. Anschließen laufen die Kundinnen und Kunden zwischen den Regalen umher, legen die Waren in ihren Einkaufskorb und scannen sie an der Kasse selbst ein. Bezahlt wird mit der Bankkarte. Doch wie sieht es da mit der Ehrlichkeit aus? „Diebstahl ist bei uns kein Problem. Dass jemand ein Produkt nicht bezahlt und einfach in die Tasche steckt, kommt sehr selten vor. Die Menschen sind froh, dass es uns gibt, da beklauen sie uns doch nicht“, sagt Geschäftsführer Peter John und lacht.
„Wir holen den Bäcker, Fleischer, Imker, Ölhersteller oder den Ökobauern aus der Region in den Markt.“
Peter John
Der Markt wird von über 40 Kameras und Sensoren überwacht und wurde im Februar 2020 eröffnet. Davor gab es zehn Jahre lang keine Einkaufsmöglichkeit mehr in Altengottern, einer kleinen Gemeinde mit 1.200 Einwohnerinnen und Einwohnern, die ruhig und idyllisch an der Unstrut, einem Nebenfluss der Saale, liegt. „Wir wollen ein Stück Lebensqualität zurück aufs Land bringen und den ländlichen Raum stärken“, sagt Peter John. Auf etwa 100 Quadratmetern werden 1.200 Produkte angeboten: vom frischen Obst und Gemüse über Backwaren, Wurst und Käse bis hin zu Drogerieartikeln und Katzenfutter. Bewusst wird auf ein regionales Sortiment und auf regionale Spezialitäten gesetzt. „Wir holen den Bäcker, Fleischer, Imker, Ölhersteller oder den Ökobauern aus der Region in den Markt. Bei uns können sie auch kleine Stückzahlen verkaufen, im Supermarkt nicht. Das unterscheidet uns. Ihre Produkte können sie selbst anliefern, ins Regal einräumen und eine Regalfläche mieten“, erzählt Peter John.
Welche Waren aufgefüllt werden müssen – und welche gerade nicht nachgefragt werden – erkennt ein System, das Künstliche Intelligenz (KI) nutzt. So wird das Sortiment an die Wünsche der Kundinnen und Kunden angepasst und vermieden, dass viele Waren ablaufen und weggeworfen werden müssen. Peter John erklärt anhand eines Beispiels: „In den Regalen in Altengottern stehen viele Flaschen Ketchup, die nicht verkauft wurden und nicht mehr lange haltbar sind. Das erkennt die KI. Und sie stellt gleichzeitig fest, dass in unserem anderen Laden in Ettersburg bei Weimar viel Ketchup gekauft wird. Dann wird der Ketchup von Altengottern nach Ettersburg gebracht.“
Von der Idee bis zur Eröffnung des ersten Marktes sind acht Jahre vergangen. Mehrere Unternehmer haben sich anfangs zusammengefunden, um neue Wege in ländlichen Regionen zu gehen. Jeder bringt andere Kompetenzen mit. Peter John ist Computerexperte und für die digitale Ausstattung der Märkte verantwortlich. Er wohnt selbst auf dem Land und hat miterlebt, wie immer mehr Tante-Emma-Läden dichtmachten, weil sie sich nicht mehr rechneten. „Eigentlich ist Altengottern kein besonders attraktiver Standort. Dort leben nur 1.200 Menschen und der nächste Supermarkt ist nur drei Kilometer entfernt. Die Konkurrenz ist also groß. Wer bei uns einkauft, muss das explizit wollen. Das waren für uns gute Bedingungen, um herauszufinden: Funktioniert unser Konzept? Trägt es sich auch?“, so Peter John. Bisher kommt „Emma’s Tag & Nacht Markt“ bei den Menschen in Altengottern gut an. Nicht nur bei älteren, für die er zu einem wichtigen Treffpunkt geworden ist, sondern auch bei jüngeren, die abends noch mal schnell etwas einkaufen wollen. Inzwischen haben über 1.000 Frauen und Männer eine Kundenkarte für den Markt. „Großeinkäufe machen sie weiterhin woanders. Aber für den kleinen Einkauf fahren sie nicht noch einmal mit dem Auto los“, sagt Peter John.
In diesem Jahr sollen weitere Märkte in der Region eröffnet werden. Über das Programm 24-h-Dorfläden fließen auch Fördermittel des Freistaats Thüringen in die Projekte. In Bayern sind zwei weitere Märkte geplant. Zielgruppe sind kleine Ortschaften auf dem Land mit 500 bis 2.500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Betreiber der digitalen Dorfläden ist die Emma‘s Tag und Nachtmarkt GmbH in Erfurt. Sie versteht ihre Märkte auch als digitale Infrastrukturplattform für den ländlichen Raum. Denn zu „Emma’s Tag & Nacht Markt“ gehören auch ein WLAN-Hotspot, eine Packstation, eine Kaffeebar und eine Ladesäule für Elektroautos. Für das Konzept hat die GmbH 2021 in Thüringen den Innovationspreis in der Kategorie Tradition & Zukunft erhalten.