Stephanie Auras-Lehmann (links) und Karin Gottfried (rechts) unterstützen Menschen, die der Stadt den Rücken kehren und zurück aufs Land ziehen. © Jörg Gläscher
Frau Gottfried, Sie haben das Bundesnetzwerk „Hüben & Drüben“ mit ins Leben gerufen. Was steckt dahinter?
„Hüben & Drüben“ ist das Bundesnetzwerk für Rückkehr- und Zuzugsakteure. Stephanie Auras-Lehmann und ich haben es vor ungefähr einem Jahr gegründet.
Was war der Anlass?
Stephanie Auras-Lehmann hat vor zehn Jahren die Rückkehrinitiative Comeback Elbe-Elster ins Leben gerufen. Im Rahmen des Programms Neulandgewinner wurde sie dafür ausgezeichnet und gefragt, ob sie noch einmal teilnehmen möchte. Grundvoraussetzung war, dass sie sich jemanden aus Westdeutschland mit einem ähnlichen Projekt sucht. So ist sie auf unsere Rückkehrinitiative Heimvorteil HSK gestoßen. Wir haben dann zwei Jahre lang unsere Initiativen miteinander verglichen. Schließlich kam uns die Idee, Menschen, die einen ähnlichen Job machen wie wir, zusammenzuführen, um ein Netzwerk zu gründen.
Worum geht es bei diesem Netzwerk?
Im Kern um den Austausch untereinander. Mit einer gemeinsamen Onlinepräsenz und einem einheitlichen Social-Media-Auftritt wollen wir andere Akteurinnen und Akteure einladen, sich für ein lebenswertes Landleben zu engagieren. Der handlungsorientierte Austausch läuft dabei über Themengruppen und einen gemeinsamen Slack-Kanal. Dort können Fragen gestellt, diskutiert und beantwortet werden.
Aus welchen Bereichen kommen die Akteurinnen und Akteure, die Sie in Ihrem Netzwerk bündeln?
Zum Beispiel aus der Wirtschaftsförderung. Oder sie sind als Verein organisiert. Es sind auch Welcome-Center, Industrie- und Handwerkskammern darunter. Das Thema Rückkehr aufs Land ist in vielen Bereichen und Institutionen angekommen.
Was zieht Menschen zurück aufs Land?
Für mich gibt es drei Altersgruppen bzw. Lebenssituationen: Die erste Gruppe ist zwischen 20 und 28 Jahre alt und nach dem Abitur weggegangen – weiß aber bereits, dass sie wieder zurückkommen möchte. Die Kernzielgruppe ist zwischen 28 und 45 Jahre alt und will eine Familie gründen oder hat bereits Kinder. Eine familiengerechte Wohnung in der Stadt ist aber oft zu teuer. Ein Umzug ist da eine Option. Und die dritte Gruppe ist die Altersgruppe 55 plus. Menschen, die zurückkommen, um zum Beispiel ihre Angehörigen zu pflegen.
Das Thema Rückkehr aufs Land ist in vielen Bereichen und Institutionen angekommen.
Karin Gottfried
Welche Rolle spielt der Ausbau des schnellen Internets?
Das ist im ländlichen Raum bestimmt für einige Menschen ein starkes Argument, um zurückzukommen. Coworking-Spaces, digitale Nomaden oder digitale Landpioniere profitieren definitiv davon. Remote-Arbeit ist im Kommen und daher auch im ländlichen Raum möglich. Die Kombination aus Platz, Natur und Digitalität ist sehr attraktiv.
Und wie wichtig ist das Digitale für Ihre Netzwerkarbeit?
Ohne geht es gar nicht. Unser Netzwerk arbeitet ja bundesweit. Zudem leben Stefanie Auras-Lehmann und ich 600 Kilometer voneinander entfernt – sie in Finsterwalde, ich in Meschede. Klar, wir könnten viel telefonieren, aber das ist auf Dauer anstrengend. Es geht nichts über gute Videocalls. Und für Chat-Plattformen ist das schnelle Internet das A und O.
Welche Bedeutung hat das Rückkehr-Thema im ländlichen Raum?
Im Hinblick auf die Fachkräftesicherung gibt es sehr viel Bedarf – auch wenn es um die Nachfolgeregelung in Betrieben geht. Aus meiner Sicht ist es zudem wichtig, dass Rückkehrer und Zuzügler neue Ideen mitbringen, vielleicht auch einen anderen Zeitgeist, etwa im Kunst- und Kulturbereich. Darüber hinaus ist es immer spannend zu sehen, wie zum Beispiel Rückkehrer mit Kindern die Dorfstruktur verändern und beleben.
Was sollte man nicht unterschätzen, wenn man Menschen zur Rückkehr aufs Land bewegen will?
Ich glaube, die größte Herausforderung ist, in die Welt herauszutragen, dass man da ist. Da wären wir dann wieder beim Thema Internet. Ohne Social Media ginge das gar nicht. Zudem haben Rückkehr und Zuzug einen gewissen Zyklus. Um Weihnachten herum kommen deutlich mehr Anfragen als im Sommer. Und man sollte sich empathisch in die Zielgruppen eindenken.
Haben Sie Tipps für Kommunen, wie sie das Thema anpacken können?
Natürlich ist das Angebot im ländlichen Raum ein anderes als in der Stadt, aber es ist durchaus attraktiv. Jede Kommune sollte sich dementsprechend präsentieren. Ich glaube, es ist zum Beispiel nie verkehrt, den Wohnraum zu zeigen, den man zu bieten hat. Auch das Marketing ist wichtig, um die Möglichkeiten und das Angebot auch sichtbar zu machen. Ebenfalls wichtig: Die Hilfe vor Ort, etwa bei der Suche nach einem Kita-Platz. Es geht darum die Leute abzuholen.
Welche Langfrist-Perspektive sehen Sie für den ländlichen Raum?
Wir wissen nicht, wie sich die Welt in den nächsten Jahren noch wandelt. Meine persönliche Einschätzung ist aber, dass der ländliche Raum mit Blick auf den Klimawandel durchaus gewinnen kann. Die Städte werden sich vielleicht noch weiter aufheizen. Und wenn wir von Rückkehrern sprechen, meinen wir ja auch keine Massenbewegungen. Rückkehr und Zuzug finden eher punktuell statt. „Menschen ziehen Menschen aufs Land“, sage ich immer.