Smart Regions: Was Digitalisierung auf dem Land bedeutet - Digitales Bürgernetz

Smart Regions: „Eine Digitalisierungsstrategie ist eine individuelle Sache“

#Gemeinschaft 7. April 2022

Mit einer guten Strategie kommt die Digitalisierung voran: Das gilt auch in ländlichen Regionen. © lumen-art-images.de/Getty

Herr Magin, worauf kommt es bei der Digitalisierung in ländlichen Regionen besonders an?

Der Breitbandausbau und die Mobilfunkabdeckung sind die Basis, um die Digitalisierung auf dem Land zu ermöglichen. Je nach Bundesland unterscheidet sich, wie weit diese bereits fortgeschritten sind. Auf dem Land stehen die Menschen vor ähnlichen, aber nicht vor gleichen Herausforderungen wie in der Stadt. Die Digitalisierung betrifft zwar ähnliche Bereiche und Themen, diese müssen aber anders angegangen werden. Digitale Angebote in der Stadt unterscheiden sich deshalb von jenen auf dem Land. 

Können Sie Beispiele nennen?

Das Thema Mobilität ist ein Beispiel. Es spielt sowohl in der Stadt als auch auf dem Land eine wichtige Rolle. Doch die Angebote müssen anders ausgerichtet werden. In der Stadt gibt es Car-Sharing-Modelle, die mit digitalen Diensten gekoppelt sind. Ich buche und entsperre ein Auto mit dem Smartphone. Ähnliche Konzepte würden auf dem Land nur schwer funktionieren, weil viele Haushalte ein Auto haben, im Schnitt hat jeder Haushalt 1,7 Pkw zur Verfügung. Das Problem besteht auf dem Land also nicht darin, ein Fahrzeug zu bekommen, um von A nach B zu fahren. Dort braucht es andere Angebote, insbesondere für Menschen, die nicht mehr oder noch nicht fahrtüchtig sind. Das lässt sich mit digitalen Diensten forcieren. Zum Beispiel mit einem Rufbus per App oder mit sogenannten Bürgerbussen, deren Planung und Buchung digital unterstützt werden kann. In der Stadt macht ein Rufbus jedoch wenig Sinn. Ein anderes Beispiel ist die medizinische Versorgung. In der Stadt gibt es meistens einen Arzt um die Ecke, auf dem Land müssen die Menschen oft viele Kilometer bis zur nächsten Praxis fahren, weil es dort immer weniger Ärztinnen und Ärzte gibt. Deshalb braucht es dort digitale Sprechstunden und Gesundheitsangebote. 

Das Fraunhofer IESE war für die Begleitforschung „Digitale Zukunftskommunen@bw“ in Baden-Württemberg verantwortlich. Welche Erkenntnisse wurden dort gewonnen?

Unsere Aufgabe war, Kommunen in ihrem Prozess zu begleiten, eine Digitalstrategie zu entwickeln und zu gestalten. Teilweise haben wir auch dabei unterstützt, konkrete digitale Lösungen umzusetzen. Die Begleitforschung nimmt die Kommunen ein Stück weit an die Hand und gibt Handlungsempfehlungen, die bei den nächsten Schritten unterstützen. So können die Kommunen Erfahrungen und Kompetenzen aufbauen. Bei den Digitalen Zukunftskommunen@bw haben wir festgestellt, dass ganz viele Kommunen Digitalisierungsstellen ausgeschrieben und aufgebaut haben. Da hat ein Kompetenzaufbau abseits der klassischen IT-Dienstleistungen stattgefunden. 

„Eine Digitalisierungsstrategie lässt sich nicht 1:1 von Kommune A auf Kommune B übertragen. Aber man kann sich Anregungen holen.“

Was ist der Unterscheid zwischen den Digitalisierungsstellen und klassischer IT-Dienstleistung? 

In der Verwaltung gibt es eine Person oder eine Abteilung, die sich um die Hardware- und Softwarebeschaffung sowie um die IT-Infrastruktur kümmert, die Zielgruppe ist nur die Verwaltung. Anders ist es bei den Digitalisierungsstellen. Dort geht es um eine Digitalstrategie. Die Zielgruppe sind alle Akteurinnen und Akteure in und außerhalb der Kommunalverwaltung. Also auch die Bürgerinnen und Bürger, Gewerbetreibende, Kunst- und Kulturschaffende, die Mobilitätsanbieter oder die Stadtwerke. Das ist sehr vielfältig und das Handlungsfeld ganz anders als bei der klassischen IT. Es geht um Prozesse der Bürgerbeteiligung, um Workshops mit bestimmten Stakeholdergruppen. Es ist wichtig, mit den Menschen vor Ort zu sprechen. Was sind ihre Bedürfnisse? Was sind ihre akuten Herausforderungen? Bei dem Projekt in Baden-Württemberg haben wir die Umsetzung teilweise begleitet, teilweise waren wir nur in der Konzeptionsphase mit dabei.

Eines der Ergebnisse der Begleitforschung ist: Strategie ist nicht gleich Strategie. Gibt es überhaupt eine optimale Digitalisierungsstrategie für den ländlichen Raum?

Nein, denn eine Digitalisierungsstrategie ist eine individuelle Sache. Die Themen digitale Verwaltung, Nahversorgung, Gesundheit, medizinische Versorgung, Pflege oder Mobilität sind allerdings überall von großer Bedeutung. Deshalb ähneln sich die Digitalisierungsstrategien vielleicht, weil sie ähnliche Themenbereiche betreffen, aber die Ausprägung und die Gewichtung unterscheiden sich. Eine Digitalisierungsstrategie lässt sich daher nicht 1:1 von Kommune A auf Kommune B übertragen. Aber man kann sich Anregungen holen.

Welche Anregungen können sich andere Regionen oder Kommunen konkret holen, um eine Digitalisierungsstrategie zu entwickeln?

Porträtaufnahme von Dominik Pascal Magin
Interviewpartner Dominik Pascal Magin. Er ist Business Area Manager Digital Society Ecosystems am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE © Fraunhofer IESE

Ganz wichtig ist: Man muss das Rad nicht neu erfinden. Kommunen sollen und dürfen über den Tellerrand schauen und sich bei anderen Kommunen informieren: Was hat gut geklappt und was weniger gut? Sie können voneinander lernen. Man muss wegkommen von Insellösungen und Dinge kommunal übergreifend angehen. Eine Digitalisierungsstrategie hat immer einen ähnlichen Aufbau, auch die Vorgehensweise ist ähnlich. Andere Kommunen können sich daran orientieren, wie sie erstellt wurde. Damit ist schon viel gewonnen. Man muss nicht Fehler machen, die schon einmal gemacht wurden, sondern kann sich an Best Practices sowie an den Inhalten orientieren. Durch die Digitalisierungsstrategie einer anderen Kommune kann ich einen völlig neuen Input oder eine neue Sicht bekommen. Sie beleuchtet vielleicht ein Themengebiet, das ich in meiner Kommune noch nicht auf dem Schirm hatte. Außerdem bekomme ich mit, wie sie umgesetzt wird, was dort geplant ist.

Kennen Sie Beispiele für die Vernetzung?

Es gibt Regionen, die sich zum Beispiel zu Leader-Regionen zusammengeschlossen haben. Das Thema muss also größer gedacht werden. Und man sollte keine Scheuklappen aufhaben und sagen: ‚Ich mach das so‘, sondern ein kommunales Netzwerk aufbauen, damit sich Kommunen untereinander austauschen und erzählen können, wo sie stehen. In Rheinland-Pfalz haben wir zum Beispiel das Digitale-Dörfer-Netzwerk ins Leben gerufen, als Austauschplattform, um Fragen zur Digitalisierungsstrategie oder zu digitalen Lösungen ansprechen zu können. Solche Formate sind wichtig.

Kurz noch zu den „Digitalen Dörfern“: In diesem Rahmen hat das Fraunhofer IESE in Rheinland-Pfalz verschiedene digitale Lösungen für kleinere Kommunen entwickelt. Ist das eine Art Werkzeugkasten, den man auch in anderen Regionen nutzen kann? 

Ja und nein. Wir haben diese Produkte zusammen mit drei Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz entwickelt. Sie können sehr gut auf andere Regionen übertragen werden, weil sie ein allgemeines Problem lösen. Je nach Bedarf und Ausprägung vor Ort können Lösungen aus unterschiedlichen Themenbereichen zum Einsatz kommen. Der DorfFunk, der sich als soziales, regionales Netzwerk versteht, skaliert sowohl für kleine Ortschaften, wird aber auch in ganzen Landkreisen oder Leader-Regionen eingesetzt. Dieser kann beispielsweise um einen Vorschlagmelder, die Lösbar, ergänzt werden.


Hier erfahren Sie mehr über das Fraunhofer IESE

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