Der Mobile Dorfladen der Steinwald-Allianz ist eine Lösung für die Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, © Steinwald-Allianz
Junge Leute sind weggezogen, Dorfläden verschwunden, Häuser stehen leer. Wie kann der ländliche Raum wieder an Reiz gewinnen? Dazu forscht das Fraunhofer Institut. Wir sprechen mit Mirjam Sarah Opitz, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen (IIS).
Sie spielt eine große Rolle und ist ein wichtiges Element. Wir glauben, dass Angebote, die es in analoger Form nicht mehr gibt, durch digitale Lösungen wieder verfügbar gemacht werden können. Das kann im Bereich Gesundheit, Wohnen oder Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs sein. So können ländliche Räume gerade für jüngere Menschen wieder attraktiver werden. Allerdings betonen wir immer wieder, dass ein reiner Technologieansatz nicht das Gleiche ist wie Digitalisierung. Es reicht nicht, Breitband oder digitale Services auf den Weg zu bringen. Wichtig ist die Akzeptanz bei allen Akteurinnen und Akteuren. Dazu braucht es auch ein Umdenken und die nötige Kompetenz, um die Technologien nutzen zu können, damit sie tatsächlich einen Mehrwert bringen.
Das erreicht man nur, wenn man in engen Austausch mit allen Akteurinnen und Akteuren vor Ort geht. Alle Zielgruppen müssen möglichst früh in die Planung einbezogen werden, um die verschiedenen Bedarfe zu erkennen. Im stillen Kämmerlein darf nichts entwickelt werden. Die Jüngeren, die Digital Natives, sind mit digitalen Endgeräten aufgewachsen, während viele Seniorinnen und Senioren diese überhaupt nicht nutzen. Da müssen Schulungskonzepte oder Bildungsangebote entwickelt werden – auch generationenübergreifend. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Wichtig ist, die Menschen abzuholen und sie mit ins Boot zu nehmen.
In der Regel kommt ein kommunaler Vertreter auf uns zu. Die Kommunen wissen oft selbst nicht genau, wie sie aufgestellt sind und wer Interesse hat, mit uns gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Deshalb schauen wir uns zunächst die Region an: Was ist in den vergangenen Jahren verloren gegangen? Was wird am meisten vermisst? Wo brennt es gerade? Was ist am wichtigsten? Wir analysieren, welche Chancen die Digitalisierung bietet und welche Hemmnisse es gibt. Und definieren Handlungsfelder. Pauschale Lösungen gibt es nicht. Wir entwickeln eine Strategie und machen Vorschläge. In jeder Region beziehen wir die Menschen vor Ort ein, beispielsweise durch Umfragen und Workshops. Wir verschicken Fragebögen per Post oder führen die Befragungen online durch. Immer wieder hören wir, dass Arbeitsplätze fehlen oder schnelles Internet. Das sind Gründe, warum Menschen wegziehen. Durch die Corona-Pandemie ist aber viel in Bewegung und im Wandel. Denn für viele Menschen, die im Homeoffice arbeiten können, spielt es jetzt keine Rolle mehr, wo sie arbeiten. Wir müssen schauen, wie sich das entwickelt.
„Es reicht nicht, Breitband oder digitale Services auf den Weg zu bringen. Wichtig ist die Akzeptanz bei allen Akteurinnen und Akteuren.“
Mirjam Sarah Opitz
In dem Forschungsprojekt haben wir uns auf drei Regionen in Bayern konzentriert und mehrere Teilprojekte entwickelt, zum Beispiel den Mobilen Dorfladen der Steinwald-Allianz. Das ist ein Verbund von Gemeinden im Kreis Tirschenreuth in der Oberpfalz. Ein begehbarer LKW fährt quasi als rollender Supermarkt durch kleine Ortschaften. Ziel war es, auf einer digitalen Plattform die Betreiber, etwa 20 Erzeugerinnen und Erzeuger aus der Region, sowie Bürgerinnen und Bürger miteinander zu vernetzen. In einem Web-Shop sollen die Waren zukünftig bestellt werden. Und der Fahrer des LKW bekommt unterwegs über eine App mitgeteilt, welche Bestellungen aufgegeben werden. Im zweiten Projekt haben wir eine digitale Wohnberatung zum Thema altersgerechtes Wohnen entwickelt. Man kann online durch mehrere Zimmer gehen und sich über verschiedene Assistenztechnologien und Hilfsmittel informieren. Ein anderes Projekt ist das „Digitale Gesundheitsdorf Oberes Rodachtal“. Um die Pflege zu unterstützen, können ambulante Pflegedienste, pflegende Angehörige oder Hausärztinnen und -ärzte auf eine digitale Plattform zugreifen und Pflegedaten austauschen. Aus diesen Projekten haben wir Erkenntnisse gewonnen, die in neue Projekte einfließen. Und wir schauen, was in andere Regionen übertragen werden kann.
Nein, das ist nicht möglich. Aber man kann sich anschauen: Was gibt es bereits und was kann ich davon lernen und vielleicht auch übernehmen? Was unserer Meinung nach nicht geht, ist, eine Lösung eins zu eins in eine andere Region zu übertragen, weil jede unterschiedlich ist. Die Lebensverhältnisse und die Infrastruktur unterscheiden sich sehr und die Bedarfe sind anders.
Viele Kommunen bekommen tatsächlich keine Fördergelder und haben keine finanziellen Mittel, uns zu beauftragen. Für diese Kommunen entwickeln wir Leitfäden und Handlungsempfehlungen. Manche sind nach einem Baukastenprinzip aufgebaut. Damit können sie Lösungen für ihre Kommune entwickeln. Und für politische Entscheidungsträgerinnen und -träger entwickeln wir sogenannte Governance Paper für verschiedene Ebenen: kommunal, regional und bundesweit.
Ich unterstütze ein Forschungsprojekt zum Thema Intelligente Mikrologistik. Wir untersuchen, wie die Digitalisierung dabei unterstützen kann, regionale Produkte zu vermarkten und sie zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu bringen. Weite Entfernungen auf dem Land und geringe Mengen, die bestellt werden, machen die Lieferung oft unrentabel und ökologisch fragwürdig. Außerdem muss bei Lebensmitteln darauf geachtet werden, dass sie frisch sind, die Kühlkette nicht unterbrochen wird und Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Dafür ist eine bestimmte Logistik erforderlich, die wirtschaftlich rentabel sein muss. Sie ist oft das Zünglein an der Waage und entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Wir schauen uns an, welche mikrologistischen Lösungen es im und für den ländlichen Raum bereits gibt und sind im engen Austausch mit privaten und öffentlichen Initiativen. Über digitale Tools können zum Beispiel Routen oder Kühl- und Lagerkapazitäten optimiert werden. Mehrere regionale Erzeuger können sich vernetzen und gemeinsam eine Tour zusammenstellen. Die Fahrten sind so besser ausgelastet. Das Ziel unseres Forschungsprojektes ist, eine Systematik und Handlungsleitfäden für Akteurinnen und Akteure in Kommunen, Landkreisen, Bundesländern und Bundesministerien zu entwickeln, um das nötige Wissen zu geben und sie dabei zu unterstützen, sich für eine geeignete Maßnahme zu entscheiden.
Hier finden Sie mehr Informationen über das Forschungsfeld „Versorgung im ländlichen Raum“, hier einen kurzen Film mit den wichtigsten Zahlen, Daten und Fakten der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS. Über das Pilotprojekt Digitales Dorf Bayern/ Bayern Digital und die einzelnen Bausteine der Initiative können Sie sich hier informieren.