Professor Sebastian Kurtenbach, Foto: Wilfried Gerharz
Welchen Effekt hat die Nutzung digitaler Nachbarschaftsnetzwerke zum Beispiel in sozialen Medien auf das Miteinander im Dorf? Dieser Frage geht Soziologe Prof. Dr. Sebastian Kurtenbach nach. Er lehrt Sozialpolitik an der Fachhochschule Münster. Sein aktuelles Forschungsprojekt „Digitales Dorfleben“ ist eines von 14 Forschungsprojekten zur Digitalisierung auf dem Land, die das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft derzeit fördert. Das Projekt startete 2020 und geht noch bis 2023.
„Das soziale Miteinander auf dem Land ist sehr stark von Vereinsstrukturen geprägt“, sagt Kurtenbach. „In den alten Bundesländern sind das vor allem Sport-, Kultur- und Schützenvereine, in den neuen Bundesländern eher Strukturen der Daseinsvorsorge wie die Freiwillige Feuerwehr.“ Tatsächlich sind mehr Menschen in Vereinen aktiv, je kleiner die Gemeinde ist, in der sie leben. Und hier sind sie eben nicht nur Vereinsmitglieder, sondern gleichzeitig auch Nachbarn. „Diese Überlappung verdichtet die Kontakte“, erklärt Kurtenbach. „Deswegen haben Vereine in ländlichen Regionen eine stärkere Bedeutung für das Miteinander und sind gleichzeitig Orte für nachbarschaftlichen Austausch.“
Der Einsatz digitaler Medien und Netzwerke hat hier eine ebenso überlappende Bedeutung. In Messenger-Diensten wie WhatsApp werden nicht nur Vereinsaktivitäten abgestimmt und Veranstaltungen organisiert, sondern immer zugleich nachbarschaftliche Informationen verbreitet. Das trifft ebenso auf digitale Plattformen und Nachbarschaftsnetzwerke wie nebenan.de zu, die noch viel mehr leisten können: Wer kann Nachhilfe geben? Wer hat noch Bierbänke für das nächste Dorffest? Wo kann man sich einen Schredder ausleihen? Wer hat Lust, gemeinsam zu musizieren?
„Die digitale Vernetzung in den Nachbarschaften, vor allem über Messenger-Dienste, ist hoch und hat seit der Corona-Pandemie noch zugenommen“, erklärt der Soziologe. „Diese Vernetzung wird vermutlich beibehalten werden.“ Kurtenbach und sein Team untersuchen insgesamt acht Dörfer in Ost und West. In zwei Dörfern wird die App nebenan.de relativ stark genutzt, in den anderen nicht.
Die digitale Vernetzung in den Nachbarschaften, vor allem über Messenger-Dienste, ist hoch und hat seit der Corona-Pandemie noch zugenommen.
Prof. Dr. Sebastian Kurtenbach
„Ich gehe davon aus, dass digitale Kanäle das soziale Miteinander im Dorf gut unterstützen können“, sagt Kurtenbach. „Aber wir müssen besser verstehen, was es genau dafür braucht und wie sie am besten funktionieren.“ Ihn interessiert auch, wie sich die Dörfer nicht nur innerhalb, sondern auch mit anderen Dörfern mithilfe digitaler Anwendungen so vernetzen können, dass auch zwischen benachbarten Dörfern und Gemeinden mehr Zusammenhalt entsteht. Ende 2022 erwartet Kurtenbach Antworten auf diese Fragen. Dann liegen belastbare Daten vor.
Auf der Website des Projektes werden regelmäßig Informationen zum aktuellen Stand der Forschungen veröffentlicht. Hier findet man auch eine Auflistung der häufigsten digitalen Nachbarschaftsnetzwerke und Presseberichte zum Thema Digitales Dorfleben.
Prof. Dr. Sebastian Kurtenbach ist Professor für Politikwissenschaften/Sozialpolitik, Schwerpunkt Kommunalpolitik und kommunale Sozialpolitik am Fachbereich Sozialwesen der FH Münster.