Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Rauschnabel und Dr. Daniel Hein. Auszug aus der Erstveröffentlichung des Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V. (bdvb)
Füllten die ersten Computer in den 70er Jahren noch ganze Räume und dienten nur ausgewiesenen Experten, sind sie heute allgegenwärtig. „Ich denke, dass es weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer gibt”, so war 1943 die Prognose von Thomas Watson, damaliger Chairman von IBM. Ein großer Irrtum, denn heutzutage ist faktisch jeder Besitzer mehrerer Geräte, vom Desktop-Modell bis hin zu Laptop, Smartphone oder Tablet. Jede dieser Geräte hat zudem eine Rechenleistung, die jene um Welten übertrifft, mit der die „Apollo 11“-Crew 1969 zum Mond flog. Kurzum, Informationstechnologie wird kleiner, günstiger, benutzerfreundlicher und immer populärer. Was aber kommt als nächstes? Erstens, im Zuge von zunehmender Digitalisierung ist das neue Schlagwort „Fashnology“ – die Verbindung von Technik und Mode. Zweitens, die Grenzen zwischen Realität und Virtualität werden verschwinden – dank Internet der Dinge und Augmented Reality (Erweiterte Realität).
Verschmelzung von Realität und Virtualität
Im Internet der Dinge (Internet of Things, „IoT“) werden am Ende praktisch alle Gegenstände mit Sensoren und Internetzugang ausgestattet sein. So könnte z.B. eine Weinflasche einen smarten Korken haben, der über Sensoren den Essiggehalt des Weines (und somit den Grad der Verderblichkeit) misst. Diese Informationen können mit anderen Dingen und vernetzten Geräten ausgetauscht werden. Der „smarte Weinkorken“ kommuniziert mit den Weingläsern, um sicherzustellen, dass eine Mindestanzahl sauberer Gläser verfügbar ist. Registriert der Korken, dass der Wein sich dem Ende neigt, weist er über eine entsprechende App den Nutzer darauf hin oder bestellt gar automatisch neuen Wein. Dieses Beispiel verdeutlicht eine IoT-Zukunftsvision, in der praktisch sämtliche Alltagsgegenstände (Weinflasche, Gläser, Smartphones etc.) miteinander kommunizieren. Sensoren sind dabei der erste Schritt, die Grenzen zwischen Realität und Virtualität abzubauen.
Mit dem Einzug des IoT als technologische Infrastruktur bieten sich zahlreiche Softwaremöglichkeiten, die Augmented Reality-Funktionen bereitstellen. Augmented Reality (erweiterte Realität) bezeichnet die Ergänzung menschlicher Sensorik mittels Technologie, deren Inhalte rein virtuell und meist internetbasiert erzeugt und wiedergegeben werden. Zahlreiche Augmented Reality Apps existieren bereits für mobile Endgeräte. Dazu gehören Apps, die Gebäude oder Sehenswürdigkeiten erkennen und dem Nutzer entsprechende Informationen bereitstellen. Der Nutzer muss die Kamera seines Smartphones lediglich auf das Objekt halten – die Identifikation und Bereitstellung der Daten erfolgt über das mobile Endgerät. Noch einen Schritt weiter gehen Augmented Reality Smart Glasses wie bspw. Microsoft Hololens. Hierbei werden virtuelle Informationen direkt in das Sichtfeld einer Brille eingeblendet.
Zukunft zum Anfassen: Live-Vorführung der Microsoft Hololens (Englisch)
Wenn diese Trends übereinstimmen, ergibt sich daraus nicht weniger als eine Neudefintion menschlicher Realität: Was wir sehen, hören, riechen und durch Kommunikation direkt oder indirekt erwerben konnten, war bislang die Grundlage unserer Erfahrungen und unseres Wissens. Die Welt von morgen wird Wissen als limitierendes Element voraussichtlich nicht mehr kennenlernen, da Konsumenten jederzeit und von jedem Ort der Welt Zugang zu praktisch allem Wissen der Welt haben.
Verschmelzung von Medien
Hatten früher die Geräte einzelne Funktionen, verschmelzen diese heute in einem Gerät, z.B. einem Smartphone: arbeiten, telefonieren, Musik hören, fernsehen, fotografieren… Und das ist nicht das Ende. Das Smartphone findet heutzutage Integration in die Connected Car Software des BMW 7er, kommuniziert mit der Soundanlage im Haus oder dient wahlweise der Fernsteuerung der Zentralheizung. Gleichzeitig signalisiert die Smart Watch durch Vibration am Handgelenk Aktivität im E-Mail-Postfach, während ihr Träger einer Reparaturanleitung folgt, die online abgerufen wurde und nun über die Datenbrille direkt mittels Augmented Reality in sein Sichtfeld projiziert wird. Informationen überschreiten Systemgrenzen, Lebensbereiche und Verwendungskontexte und ermöglichen so das, was wir als die „wahre“ Wissensgesellschaft verstehen. Der Zugang zu diesem Wissen basiert auf Technologien, die die Brücke zwischen menschlicher Grundausstattung und technischem Zusatznutzen schaffen – und bei der Wahl der entsprechenden Brückentechnologie menschelt es ganz gewaltig.
Fashnology: Kombination von Technologie und Mode
Der nächste Entwicklungsschritt ist die Ubiquitisierung (Allgegenwärtigkeit). Aktuell sind Smartphones das universell anzutreffende Gadget, dass den permanenten Zugriff an das Internet eines jeden Einzelnen sicherstellt. Bei der Betrachtung des eigenen PCs kam früher wohl kaum jemand auf die Idee, einen Teil seiner Persönlichkeit vor sich zu sehen. Bei einem Smartphone verhält sich das grundlegend anders – Das Smartphone-Zeitalter stellt in gewisser Weise eine neue Zeitepoche dar. Durch die enge Verbindung von Gerät und Besitzer ergeben sich Effekte, die dem Bereich der Konsumentenpsychologie, Abteilung Identität und Identitätserzeugung, zuzuordnen sind. Menschen kaufen Dinge, da sie das Gefühl haben, dass diese ihre Persönlichkeit passend widerspiegeln. Nun ist erstmals Technologie mehr als ihr funktionaler Nutzen. Werden die von der Technologie bereitgestellten Zusatznutzen in noch persönlichkeitsnähere Medien überführt, wird sich daraus voraussichtlich ein verstärktes Modebewusstsein der Techniknutzer entwickeln. Daraus ergeben sich für IT- und Modeindustrie ungeahnte Konsequenzen. In der Forschung werden Wearables daher auch als „Fashnology“ bezeichnet: Eine Kombination aus Fashion und Technology.
Technologien müssen also nicht nur gut funktionieren – sie müssen auch „tragbar” sein. In Zukunft werden vermehrt Aspekte relevant, wie z.B. „Passen sie zu meinem Kleidungsstil?“ oder „Lassen sie sich bequem tragen?“. Filmliebhaber können womöglich bald auf ein neues Kleidungsstück von Netflix hoffen: Smart Socks, die merken, wenn der Nutzer eingeschlafen ist und den Film automatisch anhalten. Denkbar sind auch Mützen mit integrierten mp3-Playern oder T-Shirts mit flexiblen, integrierten Touchscreens.
Risiken
Nicht nur Datenschützer kritisieren den Verlust der Privatsphäre. Man bedenke die Folgen, wenn an faktisch jedem Gegenstand Sensoren (bspw. Kameras) angebracht wären, die mittels entsprechender Software (bspw. Gesichtserkennung) Menschen auf Schritt und Tritt verfolgen. Die gewonnen Daten werden in Echtzeit eingespeist und über Wahrscheinlichkeitsmodelle verschiedenste Verhaltensweisen vorhergesagt. Etliche Firmen – mit einem Sicherheitsauftrag versehen – arbeiten bereits daran. Die Datensammler von morgen mögen andere Motive antreiben. Für den Einzelnen ergeben sich durch die Furcht vor Überwachung und dem Fokus auf die Technologie Gefahren für die allgemeine Sozialkompetenz. Wie wahrscheinlich wird selbst zensiertes Verhalten? Oder von Seiten der Techniker gedacht: Wie gehen Wahrscheinlichkeitsmodelle mit Fehlerwahrscheinlichkeiten um? Erinnerungen an den Film „Minority Report“ werden wach, in dem die Gesellschaft Straftäter identifiziert und isoliert, bevor diese überhaupt zur Tat schreiten. Das dort gezeigte System basiert jedoch auf einer 100-prozentigen Trefferquote, die es in Realität nie geben wird. Wie steht es aber um Methoden, die den 10-, 5- oder auch nur den 1-prozentigen Fehler in ihrer DNA stecken haben – wie es jedes auf Wahrscheinlichkeit gegründete System hat? Bei einer Million analysierter Menschen, die ein System mit mehreren hundert Kameras in relativ kurzer Zeit erfassen kann, würde das noch immer bedeuten, dass das Verhalten von 10.000 Menschen fehlerhaft prognostiziert würde.
Fazit
Auch wenn die neuesten Entwicklungen für viele Menschen noch unvorstellbar sind, werden sie unsere Welt auf den Kopf stellen. Nach Smartphones und Tablets wird nicht Schluss sein. Grenzen zwischen Realität und Virtualität werden verschwinden. Anstatt in virtuelle Welten abzutauchen, werden virtuelle Elemente den Schritt in unsere Realität machen, einfach, indem sie eingeblendet werden. Ein vorbeifahrendes Auto zu „liken“ wird ebenso möglich sein, wie sich per smarter Brille an einen anderen Ort projizieren zu lassen.
Zwei Dinge sind die Grundlage für die Verschmelzung beider Welten: Zum einen eine stabile IT-Infrastruktur, insbesondere Zugang zu Daten und Informationen. Zum anderen müssen Unternehmen und Menschen wissen, was hinter diesen Technologien steckt und wie man sie nutzen sollte. Regelmäßige Updates aus der Forschung gibt die Seite www.xrealitylab.com, die in Kürze online geht.
Gastautoren:
Prof. Dr. Philipp A. Rauschnabel Professor für Digitales Marketing und Medieninnovation an der Universität der Bundeswehr München |
|
Ursprungsbeitrag: www.epaper.koellen.de