Dipl.-Ing. Jürgen Vahlhaus und Dipl.-Ing. Eckart Holtmann © Screenshot/ Deutschland – Land der Ideen
Wer einen Kindergartenplatz sucht, einen neuen Hausarzt oder eine öffentliche Ladesäule für sein Elektroauto, schätzt kurze Wege. Bei der Planung ist es für Kommunen daher wichtig, möglichst genau zu wissen, wo sich die Bevölkerung in Zukunft wie entwickelt. Das Portal Smartdemography bietet dafür eine digitale Lösung. „Es geht darum, der Stadtverwaltung, der Wirtschaft und den Bürgern kleinräumige Daten zur Verfügung stellen zu können“, fasst Dipl.-Ing. Jürgen Vahlhaus, Kreisvermessungsdirektor im Kreis Recklinghausen, zusammen. Denn diese Daten werden regelmäßig gebraucht. „Wenn sich ein Quartier wandelt, ändern sich auch die Anforderungen“, sagt er, und nennt auch gleich ein Beispiel: die sogenannten goldenen Hochzeitsviertel. „In diese Viertel sind vor 30 oder 40 Jahren junge Familien eingezogen. Die Kinder sind heute erwachsen und ausgezogen, die Häuser oft zu groß. Da braucht es keine neuen Spielplätze, sondern eher Infrastruktur für Ältere. Durch ein regelmäßiges Monitoring mit aktuellen Zahlen kann ich das auf Quartiersebene und nicht nur auf Gemeindeebene beobachten.“
Bereits seit 2019 ist Smartdemography im Kreis Recklinghausen im Einsatz. Fachämter bei den kreisangehörigen Kommunen, Unternehmen, aber auch Bürgerinnen und Bürger können online mit wenigen Klicks auf die kartografisch aufbereiteten Daten zugreifen, die sie sonst in Tabellen und Grafiken in seitenlangen Demografieberichten nachschlagen mussten. Die Informationen sind dank des Onlineportals also sehr viel bequemer verfügbar. Und sie liegen für das Kreisgebiet nun erstmals einheitlich in kleineren Einheiten vor: nämlich nicht nur auf Ebene der Gemeinden, sondern auch für Wohnblöcke (=kleinräumigste Gliederung, ein z. B. von Straßen umgebener Häuserblock), sogenannte Mittelblöcke (= ca. 1.200 Einwohnerinnen und Einwohner) und Stadtteile. Kleinere Kommunen, die keine eigene Statistikstelle haben, hatten diese Detaildaten bisher gar nicht zur Verfügung, anderswo waren die Gebietsgliederungen uneinheitlich und die Daten daher nicht vergleichbar.
Dargestellt werden über Smartdemography die demografischen Daten aus den Einwohnermelderegistern der beteiligten Kommunen – dafür musste der Kreis mit diesen extra Vereinbarungen schließen. Rund 250.000 Einwohnerinnen und Einwohner leben in dem Einzugsbereich, den das Portal heute abdeckt. Abgeglichen werden diese Daten dann mit den als Open Data vorliegenden Verzeichnissen des Katasteramtes. So können Veränderungen – etwa wenn ein Neubauviertel entstanden ist – schnell abgebildet werden. Außerdem ist die örtliche Infrastruktur in der Software hinterlegt, sogenannte Point of Interests wie Schulen und Geschäfte. Diese Verknüpfung von Demografie und nahräumlicher Versorgung hilft nicht nur der Verwaltung, die den demografischen Wandel steuern und begleiten muss. „Unternehmen nutzen das Portal zum Beispiel für Standortanalysen. So können sie sehen, wer im Umkreis eines potenziellen Standorts wohnt“, berichtet Jürgen Vahlhaus. „Dabei sind auch Erreichbarkeitsanalysen möglich. Nicht nur der Umring, sondern die tatsächlichen Wege werden sichtbar. Dadurch kann man die Einzugsgebiete festlegen und sehen: Lohnt es sich etwa, hier einen neuen Bäcker zu eröffnen?“ Und sein früherer Kollege Dipl.-Ing. Eckart Holtmann, der heute die Zensus-Stelle des Kreises leitet und zuvor als Projektleiter für Smartdemography verantwortlich war, sagt: „Im Prinzip kann sich das jeder angucken. Man kann es zum Beispiel auch einsetzen, wenn man sich einen neuen Wohnstandort sucht. Wie gut ist der versorgt? Welche Einrichtungen sind in der Nachbarschaft? Wie weit sind die Wege?“
Nach einer dreieinhalbjährigen Projektphase, unterstützt von der Hochschule Bochum und gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, ist das Portal mittlerweile im Dauerbetrieb angekommen – doch Ideen, das Ganze weiterzuentwickeln, gibt es bereits: „In Zukunft könnte auch die Sozialplanung über das Portal möglich werden, mit Daten von Arbeitsämtern und Jobcentern“, sagt Jürgen Vahlhaus. Derzeit fördert das Land NRW im Rahmen des Programms Zusammen im Quartier – Sozialplanung initiieren, weiterentwickeln und stärken 2022-2024 die Installation und den Betrieb der Software KomMonitor, die auch hinter Smartdemography steckt. „Das ist spannend, weil Smartdemography so um Themen wie die Sozialräumliche Entwicklung ergänzt werden kann.“ So dürfte das Portal für noch mehr Kommunen interessant werden. Doch zunächst ist es die Vision der Initiatoren, dass das Portal flächendeckend im gesamten Kreis Recklinghausen genutzt wird, dem nach Einwohnern zweitgrößten Landkreis Deutschlands – und anschließend darüber hinaus. Auch Gemeinden im ländlichen Raum könnten von der Anwendung profitieren, meint Vahlhaus, schließlich seien auch heute schon eher dörflich geprägte Gemeinden an der Grenze zum Münsterland dabei. Lediglich die Einheiten müsse man dann überdenken und vielleicht nicht auf Wohnblockebene runterzoomen.
Jürgen Vahlhaus und Eckart Holtmann haben Smartdemography von Anfang an begleitet. Als das Projekt im Juni als „Digitaler Ort im Land der Ideen“ ausgezeichnet wurde, nahmen daher beide die Urkunde entgegen. Die sei nicht nur Anerkennung und Bestätigung ihrer bisherigen Arbeit, so Vahlhaus, sondern auch eine Chance, neue Kontakte über das Ruhrgebiet hinaus zu knüpfen. Schließlich ist die Weiterentwicklung des Portals und der dahinterliegenden KomMonitor-Software, die man aktuell in Recklinghausen zusammen mit den Städten Essen und Mülheim a.d. Ruhr sowie dem Geonetzwerk.metropoleRuhr auf Ebene des Regionalverband Ruhr stemmt, ein wichtiges Ziel. „Dabei hilft uns der Preis ungemein”, sagt Jürgen Vahlhaus. Weitere Kooperationspartner sind daher immer willkommen. „Unser Ziel ist es, unsere Open-Source-Plattform auf eine breitere Basis zu stellen und eine Art Entwicklergemeinschaft aufzubauen, feste Strukturen, innerhalb derer die Plattform partnerschaftlich weiterwächst. Das Ganze lebt davon, dass viele Menschen daran arbeiten.“
Erfahren Sie mehr über den ausgezeichneten digitalen Ort im Land der Ideen: Bessere Planung im ländlichen Raum durch smarte Demografie.
Digitale Projekte auf dem Land sichtbar machen und ihre Köpfe dahinter untereinander vernetzen – das sind die gemeinsamen Ziele von Deutsche Glasfaser und der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“. Daher wurde in diesem Jahr erstmalig der Innovationswettbewerb “Digitale Orte im Land der Ideen” ausgerufen. Aus 200 Einreichungen wurden im Juni die Gewinnerprojekte geehrt. Smartdemography ist eines von zehn Projekten, die beim Wettbewerb ausgezeichnet wurden. Nach und nach werden wir hier alle Preisträger vorstellen. Mehr Informationen zum Wettbewerb – etwa zur Ausschreibung, zur hochkarätigen Jury und den Preisträgern – finden Sie hier.